Road of no Return
nur so tut. Er sagt, sie hätte sich selbst dazu gebracht, es wirklich zu glauben. Dass er wirklich da ist. Und irgendwann wird sie … sie wird akzeptieren, dass es nicht so ist. Verstehen Sie? Sie selbst hat Aidan geschaffen und sie wird … nun ja … sie wird ihn wieder abschaffen.«
Ich sah Aidans Mutter an. Es hat ihn schon jemand abgeschafft , dachte ich und war mir sicher, dass sie es auch dachte, aber sie sagte nichts.
»Es ist … wir dürfen nichts … überstürzen«, schloss Mum lahm.
Aidans Mum starrte die Wand an. »Es artet nur ein wenig aus«, stieß sie hervor. »Das ist alles. Es ist jetzt ein Jahr her und sie ist nicht einmal … sie ist …«
»… kein Familienmitglied?«, schlug ich vor.
Sie schluckte verlegen, so verlegen und betreten, dass ich ihr am liebsten auf die Schulter geklopft und gesagt hätte, dass es nicht ihre Schuld war.
Ich glaube, Aidans Mutter versuchte die meiste Zeit dafür zu sorgen, dass sich andere wegen dem, was passiert war, nicht schuldig fühlten.
Schließlich räusperte sie sich und sagte: »Wissen Sie, es bringt Orla durcheinander.«
Es bringt Orla durcheinander.
»Ich rede mit Allie«, bot ich an.
Mum sah mich an, als sei ich Sir Gawain aus der Tafelrunde oder so. Ein Heiliger. Der Heilige. »Wirklich, Nick? Aber bist du sicher …«
»Es bringt Orla durcheinander«, wiederholte ich. Auch ich sah jetzt die Wand an. Ich verstand auf einmal, was Aidans Mutter daran so interessant fand. »Ich meine, ich werde einfach mit ihr reden und hören, was sie sagt. Du weißt schon.« Jetzt war ich auch verlegen. »Ich verspreche nichts. Ihr wisst, wie sie ist.«
»Das weiß ich zu schätzen, Nick.« Aidans Mutter – Orlas Mutter – lächelte mich an und ich dachte: Jawoll, das war ein geschickter Schachzug. Doch dann bekam ich Schuldgefühle wegen dieses Gedankens.
»Das ist sehr nett von dir«, fuhr sie fort. »Ich weiß, wie schwierig das ist.«
»Hm, ja«, erwiderte ich. »Schon gut.«
Ich weiß nicht, warum ich gesagt hatte, dass ich es tun würde. Na ja, eigentlich schon: weil es mir bei Orla Pluspunkte bringen würde, weil es die Chancen, sie eines Tages nackt unter mir zu spüren, vergrößern konnte. Daher war es wohl kaum uneigennützig. Aber angesichts der Tatsache, dass meine Chancen so unglaublich schlecht standen, war die Geste so heroisch, wie es nur ging. Heroisch, nutzlos und selbstaufopfernd, sagte ich mir, während ich schweren Herzens die Treppe hinaufstieg. Ich tat es für Orla.
Selbstaufopfernd, am Arsch! Selbst süchtig . Und es hatte auch nichts mit meinem Hintern zu tun, eher mit meinen
Lenden, die vor unerwidertem Verlangen fast schmerzten. Deshalb musste ich etwas unternehmen, um diese Tatsache aus dem Kopf zu bekommen. Oder – da mein Kopf nur wenig Einfluss darauf hatte – irgendetwas, was mir einen kleinen Vorteil verschaffen konnte, und sei er auch noch so gering.
Vor Allies offener Tür zögerte ich. Sie hing über ihrem Computer, das angespannte Gesicht bläulich beleuchtet. Ich hielt es für keine gute Idee, dass sie einen Computer in ihrem Zimmer hatte, mit Internetzugang und allem, aber das Dumme an Mum war, dass sie es hasste, sich mit jemandem zu streiten, und das Dumme an Allie war, dass sich niemand gerne mit ihr stritt.
Diese beiden Tatsachen waren Allie wohlbekannt.
Nun, soweit ich das beurteilen konnte, brachte sie sich jedenfalls nicht in Schwierigkeiten, zumindest nicht übers Internet. Ich trat ein und stellte mich hinter sie, um auf den Bildschirm zu sehen, aber sie las lediglich eine Rugby-Seite.
Rugby, natürlich. Aidans Lieblingssport.
Mein Herz hämmerte heftig an meine Rippen. Irgendetwas musste ich sagen, sonst würde ich platzen. Orla, dachte ich. Das ist alles für Orla.
»Er ist nicht hier, Allie«, begann ich.
»Was?« Sie drehte sich nicht mal um.
»Er ist nicht hier. Aidan. Er ist nicht da, okay? Hör auf damit. «
Sie seufzte geduldig auf. »Natürlich ist er nicht da.«
Einen Augenblick schwieg ich. »Tatsächlich nicht?«
»Nein, er ist unten. Er wollte seine Mutter sehen.«
Ich hätte es besser wissen sollen. Ich setzte mich auf ihr
Bett, stützte den Kopf in die Hände und rieb mir heftig den Schädel. Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Lieber weinen.
»Bitte hör damit auf«, wiederholte ich. »Bitte!«
»Das liegt nicht bei mir«, erklärte Allie. Ihr blasses Gesicht leuchtete gespenstisch bläulich und die dunklen Augen spiegelten sich auf dem Bildschirm. Ich
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