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Road of no Return

Road of no Return

Titel: Road of no Return Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Philip
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mich das nicht sonderlich störte. Eigentlich bereitete es mir sogar Freude.
    In meinem Kopf wurde ein Schalter umgelegt. Ich hatte das Gefühl, als hätte ich über einer stinkenden Grube, in der ich ganz ohne fremdes Zutun saß, ein Stück blauen Himmel gesehen. Jetzt konnte ich damit anfangen, mir den Weg hinauf zur menschlichen Rasse wieder zu erkämpfen, denn ich kam mir nicht mehr vor wie der letzte Abschaum auf der Welt, vielleicht nur noch der vorletzte oder sogar vor-vorletzte. Ich wusste, dass Allie und ich uns wieder vertragen würden.
    Mit dem Ausgang des Überfalls wäre ich vollkommen zufrieden gewesen, wenn ich mir nicht solche Sorgen um Aidan gemacht hätte. Und in gewisser Weise behielt ich recht, denn kurz darauf hinterging ich Kev, um Shuggie Middeltons Arsch zu retten, und unser Superheld sah mir dabei zu, was ihn zu noch größeren Heldentaten anspornte, die ihn schließlich das Leben kosteten.

9
    Shuggie Middleton. Sein Adamsapfel hüpfte und zuckte, als ich in seine verständnislosen, intelligenten Augen sah. Oh, die Launen der natürlichen Selektion! Wie kommt es, dass die Klugen immer am unteren Ende der Nahrungskette stehen? Was für einen Vorteil hatte die Menschheit davon, dass Leute wie Kev und Mickey Naughton die perfekten Raubtiere waren? Nun ja, keine Abrechnung mit der Evolution. Zurück zum Eigentlichen.
    Ausnahmsweise waren Shuggies Augen mal nicht hinter seiner Brille versteckt, denn die lag auf dem Boden, zertreten unter Kev Naughtons Stiefel. Sein Essensgeld wollte er nicht rausrücken, und ein Handy, das er hergeben konnte, hatte er nicht. Was ihn zusätzlich in Bedrängnis brachte, denn es machte Kev unglaublich wütend. An Shuggies Stelle hätte ich meine Mutter gebeten, mir ein billiges Ding zu kaufen, sozusagen als Friedensangebot. Aber ich war ja auch schlauer als Shuggie. In mancher Hinsicht jedenfalls.
    Ich hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl dabei, den kleinen Spinner anzugreifen. Er tat mir leid, weil er seinen Dad verloren hatte. Allie und Shuggie waren zusammen auf die Grundschule gegangen, und da sie ständig bei ihm zu
Hause war, hatte ich seinen Dad häufig gesehen. Wenn ich hinging, um Allie zum Tee nach Hause zu schleifen, hatte ich immer Angst vor seiner Größe und Persönlichkeit und dem durchdringenden, forschenden Blick. Im Verlauf seiner Krankheit wurde diese Furcht durch jugendlich unbedachtes Mitleid gemildert, aber sie war nie ganz verschwunden.
    Shuggies Dad war Mathematiker. Glaube ich zumindest. Ich habe keine Ahnung, was ein Mathematiker im echten Leben so macht (was mein früherer Mathematiklehrer sicher bestätigen kann), vielleicht war er ja Professor für Mathematik oder so. Auf jeden Fall kann ich nicht sagen, dass er als Mathematiker gearbeitet hatte, bevor er krank wurde, denn schon damals tat er nichts Sichtbares. Nicht sein Gehirn hörte auf zu arbeiten, sondern nur seine Finger. Und dann langsam alles andere: Beine, Arme, Hals, alles, bis zur Zunge und zur Kehle.
    Nur sein Gehirn hörte nie auf zu arbeiten. Es war nicht wie bei Lola Nan. Er blieb Mathematiker, allerdings ein sehr zorniger. Die Augen von Shuggies Vater waren klar und hart wie Diamanten und voller Zorn, selbst als sich sein Körper zusammenkrümmte und nur noch ein Häufchen Knochen war und sein Kopf nach vorne sackte. Er konnte seinen Blick immer noch heben, um einen anzusehen, dann leuchtete seine Intelligenz mit laserscharfem Zorn daraus hervor. Was auch immer er für eine Krankheit hatte, sie fällte ihn wie einen Baum, nur dass er sehr lange brauchte, um zu fallen: eine Zeitlupe, die etwa ein Jahr dauerte. Da er nicht schlucken oder sprechen konnte, erstickte er eines Tages an seiner eigenen Spucke, was mir ein angemessen wütender Tod zu sein schien.

    Hätte Shuggie nur die Hälfte der Wut seines Vaters geerbt, dann hätte Kev ihn sich nie als Opfer ausgesucht, doch da standen wir, und da stand er, und ich war überstimmt worden. Seine Brille war kaputt, und das würde seine Mum wesentlich teurer zu stehen kommen als ein Telefon oder etwas Essensgeld. Ich weiß noch, dass ich den Knaben am liebsten am Kragen gepackt und in eine Ecke geschleift hätte, um ihm das mit möglichst knappen Worten klarzumachen. Vor über einer Woche hatte sich ein kleiner schwarzer Wurm namens Schuldgefühl in meinen Eingeweiden breitgemacht, aber ich hatte ihn ignoriert. Jetzt dachte ich an Allies kalte Verachtung und Aidans unbekümmerte Chuzpe und versuchte mich daran zu erinnern,

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