Road of no Return
habe ich dir auch nicht unterstellt. So etwas passiert, Geddes. Du kannst es nicht verhindern. Es ist nicht deine
Schuld.« Sein Stift verharrte in der Luft und knurrend fügte er hinzu: »Zumindest nicht immer.«
»Ach ja?«
»Ach ja.« Jetzt äffte er mich nach. Meine Augen brannten.
»Wissen Sie was? Alle sind zerbrechlich. Alle sind so verdammt zerbrechlich.«
Und dann brach ich in Tränen aus. Na ja, ganz so dramatisch war es nicht. Ich spürte nur, wie sich meine Augen füllten, und als die Lider die Tränen nicht mehr halten konnten, rollten sie mir übers Gesicht. Ich war entsetzt, und es war mir entsetzlich peinlich, aber ich konnte es nicht verhindern.
McCluskey ließ mich eine ganze Weile weinen, während er auf seinem Block herumkritzelte. Als ich blinzelte und mir mit den flachen Händen über die Augen wischte, bis ich wieder etwas sehen konnte, bemerkte ich, dass er witzige kleine Cartoonfiguren zeichnete.
»Okay, Geddes.« Endlich legte er den Stift beiseite, klappte den Block zu und stand auf, um sich die Jacke anzuziehen.
Er klopfte die Taschen ab und sah sich stirnrunzelnd auf dem Tisch um, bis er ein Päckchen Pfefferminzbonbons erblickte, das er einsteckte. Er versuchte wohl immer noch, das Rauchen aufzugeben. »Lass die letzte Stunde ausfallen.« Er sah auf seinen Wandkalender. Ebenfalls von der Stadt herausgegeben, für Lehrer. »Biologie, nicht wahr? Ich entschuldige dich bei Mrs Monaghan.«
Beim Hinausgehen sah es fast so aus, als wolle er mir onkelhaft die Hand auf die Schulter legen, aber er sah auch aus, als wisse er, wie ich das hasste.
»Alles in Ordnung, Nick?«
Ich hatte mittlerweile aufgehört zu heulen und starrte die Sonnenlichtleiter vor dem Fenster an. »Ja, schon gut.«
»Du siehst beschissen aus. Bleib hier, bis die anderen weg sind. Wenn du so rausgehst, bist du in dreißig Sekunden tot.«
»Danke, Mr McCluskey.«
»Okay. Auch das geht vorbei, Geddes.«
Damit ließ er mich allein. Nach ein paar Minuten löste sich die Starre in meinem Körper und ich konnte wieder klarer sehen. Ich bemerkte seine benutzte Tasse, in der ein halb angetrockneter Kaffeerest zeigte, dass er doch nicht so ein Kontrollfreak war.
Ich mochte McCluskey wirklich. Für einen fiesen Despoten war er in Ordnung.
Den Rest der Woche wartete ich jeden Abend, bis ich wusste, dass Mum und Dad im Bett waren – wenn sie auch nicht schliefen, denn wie konnten sie das? –, bevor ich nach Hause ging. Mum würde sich Sorgen machen, aber das wollte ich ja. Ich rief Orla an, bekam aber keine Gelegenheit, sie zu sehen. Ihre Mum hatte sich furchtbar aufgeregt, als sie so spät nach Hause gekommen war – genau an dem Abend, als sie mich beinahe ersäuft hätte –, dass sie nicht mehr ausgehen wollte, bevor sie zu ihrem Dad fuhr. An diesem Wochenende besuchte sie ihn wieder, denn danach war er für einen Monat weg. Vielleicht konnte ich sie dann häufiger sehen. Fürs Erste ging sie gleich nach der Schule nach Hause zu ihrer Mum und ihren Hausaufgaben und ein paar für beide annehmbaren DVDs.
Als ich am Freitagabend die Tür hinter mir zuzog und in der Diele stand, erschöpft vom langen Herumlaufen, leer und ausgehöhlt von Kummer, klingelte das Telefon so abrupt und unerwartet, dass ich mir einen Augenblick lang nicht erklären konnte, was das für ein Lärm war.
Doch dann erkannte ich es. Ich nahm ab, bevor meine Eltern das im Schlafzimmer taten.
»Nick? Bist du das, Nick?«
Ich hatte es gewusst, bevor ich abnahm, denn wer sonst rief um diese Uhrzeit an? Aber das hatte ich nicht erwartet: Sie erkannte mich. Sie erinnerte sich an mich. Der schmerzhafte Gedanke an meinen Verrat ließ mir den Atem stocken.
»Nick?«, fragte sie wieder und diesmal klang sie unsicherer.
»Ja, Lola Nan«, erwiderte ich, »ich bin es.«
»Ich weiß nicht, wo der Kühlschrank ist!«
»Lola Nan, es ist mitten in der Nacht. Hast du Schwierigkeiten? Bist du krank?«
»Nein.« Zögern. »Ich glaube, ich habe keine Schwierigkeiten. Habe ich Schwierigkeiten?«
»Hör zu, Lola Nan. Du musst …« Wen rufen? Eine Krankenschwester? Einen Pfleger? Eine Aufsicht? Wie nannte man diese Leute überhaupt? Ich hatte nie gefragt. »Ruf jemanden. Gibt es einen Alarm?«
»Einen was? Wo bin ich hier?«
»Eine Klingelschnur oder so etwas. Einen Knopf? Neben deinem Bett. Bitte, Lola Nan …«
»Ich brauche keinen Knopf! Was soll ich denn mit einem Knopf?« Ihre Stimme wurde schärfer und bekam einen weinerlichen
Unterton. »Junge!
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