Rob - Toedliche Wildnis
Selbst die Vögel waren verstummt. Mit den Zähnen riss Cat die Packung auf und stopfte das Papier in die Tasche. Langsam kauend schlich sie sich dichter an ihr Ziel heran, bis zur Waldgrenze müsste sie es gefahrlos schaffen, doch schon nach wenigen Metern warf sie sich zu Boden. Zwei Männer patrouillierten um das Gebäude und ließen ihre Umgebung nicht eine Sekunde aus den Augen. Das waren Profis. Schöner Mist.
Sorgfältig darauf bedacht, keinen Ast in Bewegung zu versetzen, ging sie zurück und in einem weiten Bogen um das Haus herum. Endlich entdeckte sie eine Stelle, die ihr gefiel. Sie beschleunigte ihr Tempo wieder und sah sich wenig später ausgesprochen zufrieden um. Schon besser. Sie stand auf einer kleinen, mit Kiefern bewachsenen Anhöhe, hatte von hier aus freie Sicht auf die gesamte Frontseite des Hauses bis hinunter zum Fluss und damit gleichzeitig den optimalen Standort für einen Scharfschützen gefunden. Sie stellte den Rucksack auf den Boden und legte sich daneben auf den Bauch. Obwohl sie noch geschätzte vierzig bis fünfzig Meter entfernt war, wirkte das Haus durch das Zielfernrohr zum Greifen nah – jedenfalls für einen geübten Scharfschützen, und das war sie. Eine bessere Position, um sich einen Überblick zu verschaffen, würde sie nicht finden.
Sie begann bei den Fahrzeugen, die vor dem Haus parkten, und stutzte. Diverse Quads und zwei Pick-ups, beide in einer anderen Farbe als der Wagen, mit dem sie Rob weggeschafft hatten. Cat setzte das Gewehr ab und überlegte, ob sie sich getäuscht haben könnte, doch sie verwarf den Gedanken. Das Fahrzeug war eindeutig schwarz gewesen, die beiden dort unten hatten einen undefinierbaren Farbton, der irgendwo zwischen grau und weiß lag. Verdammt, hatte sie sich geirrt? Gab es ein zweites Versteck? Verzweiflung drohte sie zu überwältigen. Sie war so sicher gewesen, dass sie hier auf Crock und damit auch auf Rob treffen würde. Sollte die ganze Anstrengung tatsächlich umsonst gewesen sein? Welche Alternativen hatte sie jetzt noch? Sie war so abgelenkt, dass sie den dritten Wagen, der schnell näher kam, erst bemerkte, als er das Haus fast erreicht hatte. Das war der Pick-up, den sie morgens gesehen hatte. Aber wieso kam er erst jetzt? Wieder drohte die Angst um Rob sie zu lähmen. Das durfte sie nicht zulassen. Sie riss sich zusammen und wartete. Als der Wagen rückwärts einparkte, verstand sie den Grund für die Verspätung. Das Reserverad an der Rückseite des Fahrzeugs war verschwunden, dafür lag nun ein Reifen auf der Ladefläche. Direkt neben Rob. Eine Reifenpanne. Die Kerle waren durch eine ganz normale Panne aufgehalten worden. Eigentlich sollte sie das nicht überraschen, das teilweise scharfkantige Gestein war eben nicht zum Befahren geeignet. Sie konnte den Blick nicht von Robs regloser Gestalt abwenden. Erst als ein wahres Muskelpaket ihr die Sicht auf ihn versperrte, konzentrierte sie sich auf die anderen Männer. Wie die Ratten kamen sie jetzt aus ihren Löchern oder, genauer gesagt, aus dem Haus.
Da die Kerle ihr nicht den Gefallen taten, ruhig stehen zu bleiben, konnte sie ihre Anzahl nur grob schätzen. Etwa fünfzehn bis zwanzig. Das waren verdammt viele, eigentlich zu viele. Jeder schien eine Aufgabe zu haben und zu wissen, was er zu tun hatte. Dennoch sahen die Männer, genau wie sie selbst, immer wieder zu dem Pick-up hinüber. Das Muskelpaket zerrte Rob von der Ladefläche. Er rührte sich nicht, als er hart auf dem Boden landete. Ein dunkelhaariger Mann blieb vor Rob stehen und trat ihm in die Seite. Cats Finger legte sich automatisch um den Abzug. Es wäre kein Problem, dem Kerl aus dieser Distanz eine Kugel in den Kopf zu jagen. Je nachdem, wie schnell die anderen Deckung suchten und fanden, würde sie noch weitere von ihnen ausschalten können. Aber damit hatte sie nichts gewonnen, solange Rob bewusstlos am Boden lag.
Der Dunkelhaarige schüttelte leicht den Kopf und schien verärgert, dass Rob immer noch nicht reagierte. Als der Mann zwei anderen Kerlen irgendwas zurief, war Cat sicher, dass es sich um Crock handelte. Sehr schön, damit wusste sie schon, wie eines ihrer Ziele aussah. Die zwei Männer zerrten Rob weiter zum Fluss hinunter, bis sie ihn direkt am Ufer losließen.
Cats Blick irrte zum Wasser, das hier mit beeindruckender Strömung dahinfloss, dann wieder zu Rob, der immer noch bewusstlos schien. Sie ahnte, was die Kerle vorhatten, und verfluchte für einige Sekunden ihre gesamte Ausbildung.
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