Robbers: Thriller (German Edition)
dachte über das nach, was Jude gesagt hatte, und als er nach dem Frühstück im Büro des Sheriffs vorbeischaute, ohne dass sich etwas Neues ergab, fuhr er den Highway 63 hinaus, vorbei an der Tennessee Pipeline Station. Dann überquerte er die Angelina River Bridge, warf einen flüchtigen Blick auf die kleine Baptistenkirche dahinter und fuhr weiter Richtung Zavalla durch den Angelina Nationalforst. Die Wolkendecke am Himmel überzog die Landschaft mit einer zarten blaugrauen Satinschicht. Es regte sich kein Windhauch, und die Luft war klebrig wie der heiße Dampf eines Bügeleisens. Die hochgewachsenen Kiefern streckten ihre Arme nach der Hitze aus und verströmten ihr harzhaltiges Myrrhearoma.
Er fuhr mit heruntergekurbeltem Fenster, sodass der Wind ins Wageninnere blies. Er duftete nach frischem Kiefernsaft und Geißblatt und nach der Haut einer Frau direkt unter dem Ohr. Lefty hockte sich mit erhobenem Kopf neben das andere Fenster und schaute, ob sich in der Landschaft etwas bewegte.
Sechzehn Kilometer hinter Zavalla, bei Boykin Springs, bog Rule auf den Parkweg und folgte ihm Richtung Süden, zwischen Bäumen hindurch und durch ein Viehgitter, vorbei an schmächtigen Jungkühen, die zwischen den wenigen Bäumen umherstreiften, und dem Schild eines Jagdvereins, der hier sein Revier hatte. An der Quelle, bei einem achtzig Quadratkilometer großen See, endete die Straße. Er stieg aus, trat auf die Staumauer des Sees und beobachtete, wie ein Reiher durchs flache Wasser stakste und Jagd auf kleine Fische machte; sein langer, schlanker Hals krümmte sich anmutig zu einer s-förmigen Kurve, bevor er sich plötzlich streckte und mit einer heftigen Stoßbewegung herabschnellte. Dann reckte der große weiße Vogel seinen Schnabel gen Himmel und würgte seine Beute hinunter.
Rules Blick wanderte zum gegenüberliegenden Ufer, wo von den oberen Ästen einer uralten Eiche ein dickes Hanfseil auf den See herabhing. Und plötzlich war er mit seinen Gedanken wieder in der Vergangenheit. Damals hatte er sich von einem über dem Wasseroberfläche baumelnden Seil fallen lassen und war fünf Meter, oder auch mehr, in die Tiefe gestürzt, was ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war, mit rudernden Armen und Beinen, hinab ins kalte Quellwasser, atemlos, bis er keuchend und schreiend wieder aufgetaucht war. Und er war nicht nur einmal gesprungen. Nein, immer wieder, an heißen Tagen wie heute. Genau dort drüben, an diesem Baum, vielleicht sogar mit diesem Seil. Alles schien unverändert, aber irgendwie auch anders. Ein spöttischer Gruß aus alten Tagen. Die Vergangenheit nichts weiter als eine wehmütige Erinnerung in verschwommenen Bildern. Und dann waren sie wieder fort. Schließlich wandte er sich ab und fuhr aus dem Park, zurück nach Osten auf den Highway Richtung Jasper.
Kurz hinter der Angelina Bridge bog er auf eine Nebenstraße, die zum Neches River führte, durch das Schwemmland, das zwischen den beiden Flüssen oberhalb des Dam B lag, wo sich die beiden vereinigten. Sie verliefen hier im Abstand von mehreren Kilometern fast parallel zueinander. Dazwischen gab es jede Menge Landschaft, in der sich vielleicht ein rothaariger Mann versteckte. Während er ein paar Kilometer die Nebenstraße entlangfuhr, zählte er ein halbes Dutzend Feldwege, die zu den am Westufer des Angelina River gelegenen Niederungen führten. Vielleicht war er in eine davon abgebogen, oder auch keine. Schließlich machte er auf dem schmalen Seitenstreifen kehrt und fuhr langsam zum Highway zurück, während er aufmerksam lauschte. Ein Rascheln in den grünen Baumwipfeln, das schwermütige Krächzen einer Krähe, in der Ferne ein zweiter Schrei, dann Stille. Die Wolken über ihm, mit ihrer blau gestreiften Unterseite, dehnten sich immer weiter aus und teilten sich dann, bevor sie in einem dunstig schimmernden Ballett erneut miteinander verschmolzen.
Es roch nach Regen.
Mitten auf der Straße bremste er, stieg aus und blieb mit der Hand auf dem Kotflügel neben dem brummenden Truck stehen. Als er das Rauschen der Bäume hörte, spitzte er erneut die Ohren. Lefty, der im Führerhaus hockte, winselte und wollte hinaus, also ließ er den Hund am Rande des Dickichts umherstreifen, während er, den Kopf in den Nacken gelegt, mit geschlossenen Augen und zitternden Nasenflügeln erneut lauschte. Nach einer Weile lief er zum Waldrand, bis er Lefty schließlich eingeholt hatte. Er kniete sich neben ihn und kraulte seinen Kopf.
»Hörst du auch, was ich
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