Robbins, Harold - Träume
gestern nacht mit Denise gewesen bist. Deine Kleider sind übrigens schon dort.«
Ich stand auf. »Danke, Bruder Jonathan.«
»Wie steht’s bei dir mit Geld? Kommst du zurecht?«
»Ich glaube schon.«
»Frieden und Liebe.«
»Frieden und Liebe«, sagte ich und verließ das Büro.
Ich fand meine Sachen in tadellosem Zustand vor. Sie hingen auf einem Bügel an der Tür. Rasch zog ich mich aus und ging ins Bad. Während ich noch beim Duschen war, erlosch plötzlich das Licht. Ich fluchte laut. Dann fiel mir ein, daß dies die automatische Stromschaltung war. In ein großes Badetuch gehüllt, suchte ich nach einer Kerze. Ich fand sie, steckte sie an - und erst jetzt sah ich, daß Denise im Raum war.
Wie verloren saß sie auf dem Rand des schmalen Bettes. An ihren Augen sah ich verschmiertes Make-up. Das blaugeschlagene Auge war noch immer stark verfärbt. »Du gehst fort«, sagte sie.
Mit dem Tuch rieb ich mir den Kopf trocken, gab keine Antwort.
»Ich wußte es sofort, als Bruder Jonathan deine Sachen herbringen ließ.«
Ich war mit dem Trocknen fertig und griff nach meinem Hemd.
»Ich möchte mit dir kommen.«
»Das geht nicht«, sagte ich schroff.
»Warum nicht?« Es klang fast wie die Frage eines Kindes.
»Weil das lebensgefährlich wäre, deshalb. Und Bruder Jonathan möchte nicht, daß dir oder auch mir etwas passiert.«
»Passiert? - Ach, das ist mir alles egal - wenn ich nur bei dir sein kann.«
Ich schlüpfte in meine Jeans und setzte mich dann auf einen Stuhl, um mir Socken und Schuhe anzuziehen. Sie erhob sich vom Bett und kniete vor mir nieder. »Bitte nimm mich doch mit. Ich liebe dich.«
»Es geht nicht. Tut mir leid.«
Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Ihre Stimme war wie ein einziger gedämpfter Klagelaut. »Nie mache ich etwas richtig. Ich dachte, hier würde es gut sein -hier würden wir sicher sein.«
Ich strich ihr übers Haar. Sie griff nach meiner Hand und preßte sie an ihre Lippen. »Wenn ich hierbliebe«, sagte ich, »wäre niemand sicher. Du nicht, Bruder Jonathan nicht und auch niemand sonst. Und gerade diese jungen Menschen - die wußten doch von überhaupt nichts.«
»Ich bitte ja nicht für alle Zeit«, flüsterte sie, und ich fühlte ihren Atem an meinen Fingern. »Ich weiß, daß ich nicht gut genug für dich bin. Nur eine kleine Weile möchte ich mit dir Zusammensein. Wenn du dann willst, daß ich gehe, dann gehe ich auch.«
Ich schob eine Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht zu mir empor. »Das ist es doch nicht, Baby. Das ist es ganz und gar nicht. Bei dieser Sache sind schon genug Leute zu Schaden gekommen, und ich will auf gar keinen Fall, daß einem von euch etwas passiert.«
Sie schwieg. Dann sah ich, daß sie die Innenseite meiner Hand betrachtete. »Weißt du, daß du zwei Lebenslinien hast?« fragte sie.
Für einen kurzen Augenblick begriff ich nicht, wovon sie sprach. »Nein«, erwiderte ich dann.
Mit einem Finger zog sie eine Linie nach, die von meiner
Handwurzel bis zum Ansatz meines Zeigefingers führte. »Dir
wird nichts zustoßen. Du hast ein langes Leben vor dir.«
»Da ist mir doch gleich wohler«, sagte ich.
»Doch gerade jetzt verlaufen deine Lebenslinien parallel zueinander.« Ihr Finger berührte meinen Handteller fast genau in der Mitte. »Und die erste Lebenslinie hört ungefähr hier auf.«
»Ist das gut oder schlecht?«
Der Ausdruck ihrer Augen wirkte sehr ernst. »Das weiß ich nicht. Aber es bedeutet, daß eines deiner Leben bald zu Ende sein wird.«
»Na, hoffentlich nicht das, das mit meinem Atem zu tun hat.«
»Ich mach keine Witze«, fuhr sie gereizt auf.
Ich schwieg.
»Ich verstehe mich auf die Handlesekunst. Ich bin da sogar sehr gut.«
»Ich glaube dir ja«, versicherte ich.
»Nein, das tust du nicht«, sagte sie verdrossen.
Ich lächelte ihr zu. »Wird es dich erleichtern, wenn wir uns zanken?«
Ihre Lippen zitterten. »Ich will mich nicht mit dir zanken. Nicht am letzten Abend, an dem wir zusammen sind.«
»Dann versuche, ruhig zu bleiben.«
»Wann gehst du?«
»Bruder Jonathan sagte, er würde mich holen.«
»Das wird wahrscheinlich so gegen Mitternacht sein, wenn er kommt, um seine letzte Runde zu machen. Dann bleibt uns noch Zeit für einen Abschiedsfick.«
Ich lachte laut auf. »Du machst wirklich Witze.«
»O nein!« Sie erhob sich und begann, ihr Hemd aufzuknöpfen.
Ich griff nach ihren Händen, hielt sie fest.
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