Robert Enke
bislang in seiner Karriere immer Absolutgrip getragen, aber nun im Wohnzimmer testete er Aquasoft. Es war nach Mitternacht
in Santa Cruz, ich warf den Ball, er fing, bis er vor Lachen über die eigene jugendliche Leichtigkeit nicht mehr konnte.
Noch, sagte er, schließlich wieder ernst, habe er sich nicht entschieden, welchen Handschuh er in seinem ersten Spiel für
Teneriffa tragen würde. Und eine unerklärliche, aber absolute Sicherheit klang aus seinen zweifelnden Worten: Irgendwann,
bald, würde es sein erstes Spiel geben.
Seine stille Freude machte Teresa glücklich und erinnerte sie zugleich an die eigene unterschwellige Traurigkeit. Sie war
schwanger und alleine in Barcelona.
Eines Nachts wachte sie auf, Schüttelfrost jagte durch ihren Körper, ihr war übel, sie ging ins Bad, um aus dem Wasserhahn
zu trinken, als ihr schwindlig wurde. Sie traute sich nicht mehr ins Schlafzimmer zurück, die Treppen hinunter. Mit einem
Handtuch legte sie sich auf den Badezimmerboden und wartete, dass der Schwindel vorüberging. Dort hatte sie zu viel Zeit nachzudenken.
Normalerweise verlief eine Schwangerschaft anders. Da hält dir dein Mann den Kopf in solchen Situationen.
Es sei doch nur für ein paar Monate, sagte er ihr am Telefon. Sie dachte, der ist so tief entspannt, wie schön; wie traurig
aber, dass sie den Moment nicht miteinander teilen konnten.
Sie mähte trotz der Erschöpfung ihrer Schwangerschaft den Rasen. Dem Gärtner hatten sie während Roberts Depression gekündigt,
weniger aus Geldnot als aus dem diffusen Gefühl, nichts mehr zu verdienen.
Am Abend saß sie erschöpft vor dem Fernseher. Plötzlich schlug etwas gegen das Fenster. Sie hielt den Atem an. Zu Beginn |244| ihrer Zeit in Sant Cugat hatte es eine Schießerei in ihrer Straße gegeben, erinnerte sie sich. Wieder schlug ein Steinchen
gegen die Scheibe.
Sie ging vorsichtig ans Fenster. Unten vor der Haustür stand ihr Mann und winkte strahlend.
Er war unangekündigt aus Teneriffa gekommen, dreieinhalb Stunden eine Flugstrecke, am Mittag nach dem Training war er aufgebrochen,
am nächsten Morgen musste er in aller Früh zurück, um wieder rechtzeitig beim Training zu sein. Sie war erschlagen von dem
Rasenmähen, es war nicht einmal neun am Abend, aber vor ihren Augen flimmerte es, es tat ihr leid, aber sie musste schlafen.
Mache doch nichts, sagte er und meinte es wirklich. Er sah ihr beim Schlafen zu.
Er tat Dinge, die er nicht mehr getan hatte, seit ihn mit 18 der Profisport vereinnahmte. Er ging alleine ins Kino. Er las
stundenlang ein Buch. Er ging mit der Mannschaft Karneval feiern.
Er streifte sich ein geringeltes T-Shirt über, klebte sich ein DIN-A4-Papier auf die Brust, malte eine Nummer darauf und wollte
sagen, er sei ein ausgebrochener Panzerknacker. Als er die Mitspieler sah, wollte er im Boden versinken. Álvaro Iglesias war
eine Krankenschwester mit echter Uniform, inklusive rotem Lippenstift, Adolfo Baines war Rambo. Alle außer ihm hatten sich
größte Mühe mit der Verkleidung gegeben. Er war 26 und lernte, wie andere feierten.
Als der harte Kern nach Mitternacht aus dem Restaurant in einen Nachtklub weiterzog, ging er müde, aber glücklich nach Hause.
Klarer denn je wusste er, wie er sein wollte.
Sein Leben lang war er gegenüber anderen Menschen ruhig, sachlich, höflich gewesen, »nicht extrovertiert, aber offen«, sagt
Álvaro Iglesias. Und nun fühlte er sich zum ersten Mal seit langer Zeit auch innerlich so, wie er äußerlich wirkte; jetzt
war er auch sich selbst gegenüber nachsichtig und verständnisvoll. Der engstirnige Eifer der Jugend war einem gesunden Ehrgeiz
gewichen, dieser Hunger junger Sportler, ihre absolute, euphorische Fokussierung darauf, der Beste zu werden, hatte Platz
gemacht für eine größere Gelassenheit.
|245| Er hatte sich oft gefragt, wie es wäre, wenn er mit Scheuklappen durchs Leben liefe, absolut überzeugt von sich und seiner
Arbeit. Vielleicht wäre er dann ein besserer Torwart. Nun allerdings sagte er sich, dann werde er halt nicht der allerbeste
Torwart.
Der Ball sprang im Strafraum auf, der Torwart musste raus, bevor ein Schaden entstand. Und da war auch schon Álvaro Iglesias.
Er griff entschlossen nach dem Ball. Teneriffa lag 0:1 in Vallecano zurück. Ein Stürmer von Rayo Vallecano sprang in den Torwart
hinein, obwohl es unwahrscheinlich war, dass er den Ball noch erobern würde. Stürmern geht es bei solchen
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