Robert Enke
Aktionen schon um
die nächste Torchance: Sie wollen dem Torwart Angst machen, ihn einschüchtern, damit er in der nächsten kritischen Situation
einen Moment zu lange zögert. Álvaros Stirn blutete. Nur eine Platzwunde, sagte der Arzt, nähte sie auf dem Fußballplatz mit
drei Stichen, und weiter ging es. Álvaro spielte die restlichen 48 Minuten, Teneriffa rettete in der Nachspielzeit ein 1:1.
Das Röntgenbild am nächsten Morgen zeigte, dass Álvaros Jochbein am rechten Auge doppelt gebrochen war. Mit vier Nägeln wurde
der Knochen an der einen Bruchstelle zusammengeflickt, mit sechs Nägeln an der anderen. »Fühl mal«, sagte Álvaro zu Robert,
als er nach der Operation zum ersten Mal in der Umkleidekabine vorbeischaute. Ein Finger kann die einzelnen Nägel unter der
Haut ertasten. Robert schauderte es, während er die Nägel fühlte.
Der Platz im Tor war frei.
Er dachte auch an Álvaro, wie es war, den Platz so zu verlieren. Álvaro wurde in vier Monaten 32 und spielte seine erste echte
Profisaison, bis dahin hatte er ein Jahrzehnt in der Dritten und Vierten Liga mit dem Aufwand eines Profis und dem Gehalt
eines Nebenjobs verbracht. Sobald er Álvaro am Stadion sah, ging er auf ihn zu und erkundigte sich nach dem Stand seiner Genesung.
In der Welt des Fußballs war das schon eine bemerkenswerte Herzlichkeit. »Robert stand mir sehr nah in den Tagen nach meiner
Verletzung«, sagt Álvaro, der sich trotz des Rückschlags noch bis 36 in der Zweiten Liga halten würde.
|246| Auch im neunten Jahr von Robert Enkes Karriere schien es, als sei es für ihn immer dasselbe Spiel: Seine Mannschaften hatten
hohe Erwartungen und blieben deutlich hinter ihnen zurück. Mönchengladbach, Benfica, Barça, Fenerbahçe. Wo er auch war, die
Elf stotterte. In Teneriffa war es nicht anders. Vor der Saison hatten sie zur Tabellenspitze geschielt, vor der Partie gegen
Elche Mitte April standen sie auf einem Abstiegsplatz.
Er war wieder zurück, wo er angefangen hatte: ein halb leeres Stadion in der Zweiten Liga, Hannover gegen Jena im November
1995, und der Sportdirektor Lobo Carrasco fand den Vergleich nicht ehrenrührig, im Gegenteil: »Robert hatte die Begeisterung
eines Debütanten.«
Er schloss die Handschuhe, er hatte sich für Absolutgrip entschieden, wie immer. Er hatte neun Monate nicht mehr gespielt.
Elche brach auf dem Flügel durch, das Spiel lief noch nicht einmal eine Minute, er hatte den Ball noch nicht berührt. Die
Flanke kam, hoch, nicht zu scharf, Teneriffas Innenverteidiger Miroslav Djukić ging nicht zum Ball, sondern wartete, dass
Enke rauskam, der Ball war eine sichere Beute für einen Torwart. Aber er blieb im Tor. Er hatte Glück. Der Ball flog vorbei
an Freund und Feind und trudelte ins Seitenaus.
Robert Enke entschuldigte sich bei Djukić mit erhobener Hand und einem leichten Lächeln. Für die Zuschauer sah es aus, als
nehme er den eigenen Fehler nicht weiter tragisch. Natürlich, dachten sie, einen erfahrenen Torwart wie ihn, erprobt im Stress
von Barcelona und Lissabon, machte doch nichts verrückt.
Es war eines jener Fußballspiele, in denen der Torwart an seine Ohnmacht erinnert wird: Er konnte nichts tun außer warten.
In der 53. Minute brach Elches Nino endlich durch. Er schoss, er gab dem Ball mit dem Innenrist eine raffinierte Drehung.
Enke hielt majestätisch. Teneriffa gewann leidend 2:1, das Gegentor hatte Verteidiger César Belli auf dem Gewissen. Nach dem
Zögern bei der ersten Flanke hatte Robert Enke den Kleinkram eines Torwarts ordentlich erledigt, ein paar halb gefährliche
Schüsse abgefangen, die Abwürfe weit und schwungvoll, mehr war nicht zu tun.
Die Sportreporter in Santa Cruz strengten sich an, in ihm den |247| großen Torwart zu sehen, den alle auf Teneriffa endlich sehen wollten. »Ein Kopfball von Zárate ging über das Tor, als ob
Enke den Ball mit seinem Blick über die Latte gelenkt habe«, schrieb
El Día
.
Robert Enke kaufte sich am Tag nach dem Spiel zum ersten Mal in seinem Leben fünf Zeitungen auf einen Schlag; alle, die irgendwie
über sein Comeback berichteten.
Er belohnte sich mit einem Tag Barcelona, morgens hin, abends zurück. Die zweite Ultraschalluntersuchung stand an, in der
20. Schwangerschaftswoche. Ihr werdet die Hände und den Kopf des Kindes schon sehen können, sagten die Freunde mit Kindern,
wenn ihr Glück habt, erkennt man sogar schon, ob es ein Mädchen oder Junge wird.
Eine
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