Robert Enke
hat
der Robs hinten aus der Ecke einen Satz gesagt, und es war Ruhe«, erinnert sich Hanno Balitsch. »Doch ich glaube, wohler fühlte
er sich, als noch Altin Lala Kapitän war.«
Der Kapitän in Hannover hatte unzählige Aufgaben, entdeckte Robert Enke in den Adventstagen 2007. Er musste auch die Weihnachtskarten
der Mannschaft für die Betreuer schreiben.
In diesen Tagen rief ihn Marco an, Robert dachte, um ein frohes Fest zu wünschen. Stattdessen eröffnete ihm Marco, dass er
zu Doktor Markser in Behandlung gehen wollte.
Robert war erstaunt, Marco schien es: fast zornig. Marco war doch mit Leichtigkeit gesegnet, immer zu einem kessen Scherz
bereit, immer im Zentrum einer Gruppe; an Marcos guter Laune hatte er sich oft aufgerichtet. Wieso also glaubte Marco, er
könnte ähnliche Probleme wie er haben? »Na ja, du hattest ja auch oft Sorgen mit Verletzungen«, sagte Robert schließlich abwartend,
als würde er noch nachdenken, was er von dieser Wendung halten sollte.
Marco hatte keine Depressionen; er hatte keine Ahnung, was er hatte, er wusste nur, dass er etwas tun musste. Er spielte mittlerweile
in der Fünften Liga, auf dem Niveau war er ohne jeden Zweifel ein herausragender Fußballer, aber auch diese Gewissheit befreite
ihn nicht von dem selbst gemachten, quälerischen Druck, im Gegenteil, er spürte nur einen neuen Druck: Erwartete man jetzt
nicht von ihm, dass er jeden Sonntag der Beste war?
|314| Oft dachte er an die Momente seiner Karriere zurück, in denen alles hätte anders laufen können: Er mit 20, noch immer das
Talent mit den drei Bundesligatoren in den ersten sieben Spielen, Hertha BSC wollte ihn unbedingt verpflichten. In einem Essener
Hotel wurde er sich mit Herthas Manager Dieter Hoeneß per Handschlag über einen Wechsel einig, und zehn Tage später erklärte
ihm sein Berater Norbert Pflippen plötzlich, weißte was, Junge, ist doch besser, wenn du in Gladbach bleibst. Marco verstand
Pflippen nicht, er würde bei Hertha ein höheres Gehalt beziehen, der Trainer dort sah in ihm einen Stammspieler. Aber er war
20, er traute sich nicht, seinem Berater zu widersprechen, der Flippi wusste schon, was er tat. »Ja, weißt du nicht, warum
der Flippi dich nicht zu Hertha gehen lassen wollte«, sagten ihm die älteren Mitspieler später. »Weil ihm Gladbach drohte:
Wenn der Villa geht, verdienst du hier bei keinem anderen Transfer mehr mit.« Erinnerungen in der Endlosschleife: Wie ihm
Liberopoulos, sein Sturmpartner bei Panathinaikos Athen, den Pass zu hart und ungenau zuspielte, damit er neben das Tor schoss;
weil Liberopoulos ihn in Wahrheit als Sturmkonkurrenten betrachtete. Wie ihn die Zeitungen in Nürnberg einen »Rohrkrepierer«
nannten, der »ausgemistet« werden musste. Erinnerungen, aus denen ewige Fragen wurden: Musste ein Profi solche Grausamkeiten
ertragen? Hätte sich ein Profi dem Flippi widersetzen und auf den Wechsel zu Hertha bestehen müssen? Hätte ein Profi Liberopoulos
am Tag danach im Training das Fußgelenk durchtreten sollen? Ein unglücklicher Zweikampf, nicht einmal ein Foul, so etwas ließ
sich mit etwas Geschick vortäuschen. Hätte ein Profi mit den Schultern zucken müssen, wenn er in Nürnberg wie ein Stück behandelt
wurde? »Ein Stück Vieh, ein Stück Pizza, ein Stück Käse, das einfach nur wegmuss.« Seine Eltern und Lehrer hatten ihn immer
gelehrt, dass Feingefühl und gute Manieren zum Wichtigsten im Leben gehörten. Aber ging es vielleicht doch nur darum, einfach
stark zu sein? Und wenn, konnte ihn Doktor Markser dann stark machen?
»Ich ging zu Valentin Markser mit dem Ziel, den Kopf frei zu bekommen«, sagt er.
|315| Was Marco die Gespräche mit dem Doktor zunächst brachten, waren nur weitere und schwierigere Fragen. Was war denn für ihn
ein erfolgreiches Leben, nur die gelungene Aktion vor dem Tor? Wusste er eigentlich, was er erreichen wollte? Was nahm er
überhaupt wahr im Leben, schmeckte er zum Beispiel, um mit etwas Banalem anzufangen, überhaupt den Kaffee, den er gerade trank?
Marco Villa brauchte Zeit, um Antworten zu finden. Aber langsam sah er nicht nur sich, sondern auch seinen Freund deutlicher.
Robert Enke schien mittlerweile genau zu wissen, was er sein wollte. Ein Torwart mit gesundem Abstand zu den Aufgeregtheiten
des Profigeschäfts. Aber Marco sah auch, wie viel schwieriger es für Robert zunehmend wurde, die Ruhe zu bewahren.
Obwohl zu den Spielen von Hannover 96
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