Robert Enke
am Trainingsplatz in Cascais und zog sich um. Ja was,
sagte er, er trainiere mit, das wollten sie doch, oder?
Einige Monate nach dem Sommerurlaub rief Robert Enke den Trainer der Gehörlosenauswahl an. Er habe noch einmal über das nachgedacht,
was ihm Zürn am Botschaftsabend in Lissabon erzählt hatte. Dass die Gehörlosen Schwierigkeiten hätten, den Betrieb der Mannschaft
zu finanzieren. Er habe deshalb mit seinem Handschuhsponsor gesprochen. Frank Zürn könne dort zum Einkaufspreis die Ausrüstung
für das Team bestellen.
|311|
Robert im Pool seines Ferienhauses in Lissabon. [25]
Laras Tod hatte Robert Enke etwas geschenkt: eine tiefere Sensibilität für die Bedürfnisse anderer und ein sicheres Gefühl,
wie er ihnen eine Freude bereiten konnte.
Er saß bei seinem Nachbarn in Empede im Garten und hörte, wie Uli Wilkes Schwager, ein Dachdecker, über hartnäckige Rückenschmerzen
klagte. Er nahm den Dachdecker mit zum Training von Hannover 96. Sie gingen durch die Umkleidekabine der Profis. »Sieh zu,
dass du den wieder fit bekommst, das ist mein Handwerker«, sagte Robert Enke zum Physiotherapeuten.
Er bat die Klinik der Medizinischen Hochschule, auf der Kinderintensivstation ein Sterbezimmer einzurichten, damit die Eltern
wenigstens im schlimmsten Moment mit ihrem Kind allein sein konnten. Er ging Spenden sammeln, um den Umbau zu finanzieren.
Er fuhr nach Göttingen, um mit herzkranken Kindern Fußball zu spielen, Kinder, die nach der Anstrengung des Torschusses an
das Sauerstoffgerät angeschlossen werden mussten. »Schießt flach nach unten, da komme ich in meinem Alter nicht mehr hin«,
sagte er zu den Kindern.
|312| Aber er wollte nicht jedem helfen. Er wollte nicht Gutes tun, um sagen zu können, ich tue was. In den Nachrufen stand oft,
er habe keinen Autogrammwunsch abgelehnt. Als ob dies das höchste Maß an Nettigkeit eines Fußballers sei, als ob das menschliche
Größe zeige. In Wirklichkeit fragte er sich, warum sollte er unhöflichen Leuten Autogramme geben? »Das kann ja keiner lesen«,
meckerte eine Frau einmal, als Robert Enke ihr ein Autogramm geschrieben hatte. »Ach so?«, fragte Robert, nahm die Karte noch
einmal und schrieb in kinderhaften Druckbuchstaben seinen Namen. »Ist es so jetzt besser?«
»Hey, Enke, hast du ’n Autogramm?«, kläffte ein anderes Mal ein Junge. »Für jemanden, der
Robert
oder
Herr Enke
und dann
bitte
sagt, hätte ich schon eins«, antwortete er und ging weiter.
Dabei strengte es ihn noch immer an, anderen etwas Unangenehmes zu sagen. Im Januar 2008 musste er mit einem Angestellten
von Hannover 96 reden. Die Putzfrau der Umkleidekabinen war zu Robert gekommen. Der Angestellte, der den Profifußballern gegenüber
immer sehr höflich war, behandle sie von oben herab. Robert erklärte ihm die Grundzüge des guten Benehmens, er konnte ruhig
und trotzdem donnernd sprechen, das kam vom Abwehr- und Hundekommandieren. Aber als er es hinter sich hatte, spürte er große
Erleichterung und keine Zufriedenheit.
Alle Streits in der Mannschaft landeten nun bei ihm. Er war seit August 2007 der Kapitän. Sein Status ließ keinen Zweifel
daran, dass ihm das Amt zustand. Er war Hannovers Figur. »Ich fand auch, dass er in Hannover gewachsen ist: Aus einem in sich
gekehrten Spieler, der dankbar war, wieder in der Bundesliga zu sein, war ein Profi geworden, der sich für den Verein als
Ganzes interessierte«, sagt Tommy Westphal. »Aber Roba zum Kapitän zu machen – ich weiß nicht. Nach meinem Empfinden war das
nicht seine natürliche Rolle. Er war niemand, der von Natur aus zu allem Stellung bezog, der sich jedem Konflikt stellte.«
Er war schon einmal Kapitän gewesen, in seinem letzten Lissabonner Jahr. Damals hatte der Brasilianer Roger Flores einmal
spontan einen Freistoß geschossen, weil ihm danach war, |313| obwohl dies Pierre van Hooijdonk als bestem Spezialisten zustand. Hoch flog Rogers Freistoß über das Tor. Nach dem Spiel ging
Robert Enke mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn zu. »Das machst du nie mehr, hörst du, nie mehr!«
Wenn ihn der Zorn packte, stürzte er sich unversehens in Konflikte. Wenn aber bei Hannover Trainer Hecking und Michael Tarnat
einen stillen Kleinkrieg ausfochten, wo er doch beide Seiten verstand, hielt er sich am liebsten heraus. »Es gab Situationen,
als die ganze Umkleidekabine laut diskutierte, etwa ob wir im Mittelfeld mit der Rautenformation spielen sollten. Dann
Weitere Kostenlose Bücher