Robert Enke
saß tief. Robert Enke zog sich beim Training
in sich zurück.
Dieter Hecking blieb Trainer.
Die Zeitungen meldeten, Robert Enke stünde offenbar vor einem Wechsel zu Bayern München zum Saisonende. Es war nur ein Gerücht,
das die Sportreporter so oft voneinander abschrieben, bis sie es selbst glaubten. Robert Enke wusste, dass die Münchener Bosse
Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge in Wirklichkeit kein Interesse an ihm hatten. Doch wider besseres Wissen beschäftigte
er sich mit dem Gedanken, der deutsche Meister könnte ihn verpflichten.
Er wollte nicht um alles in der Welt weg aus Hannover. Einen Wechsel zu einem ausländischen Klub schloss er aus, er brauchte
keine Abenteuer mehr. Falls ihn jedoch einer der führenden Bundesligaklubs locken sollte, würde er zum Saisonende gehen, hatte
er entschieden.
Tommy Westphal dachte daran, wie ihn Robert drei Jahre zuvor gefragt hatte: »Was meinst denn du, Tommy, soll ich gehen oder
bleiben?«
|357| »Du
musst
bleiben!«, hatte Tommy damals voller Hingabe und Überzeugung gesagt. Nun, im April 2009, dachte der Teambetreuer an all die
Gründe, die er Robert drei Jahre zuvor aufgezählt hatte, der einmalige Zusammenhalt bei Hannover 96, das Gefühl, zu Hause
zu sein, der Glaube, dass es voranging in diesem Klub. Tommy Westphal dachte daran, was aus alldem geworden war, und fühlte,
diesmal würde ihn Robert gar nicht erst nach seinem Rat fragen.
Am 28. April, es war ein Dienstag, kam die Frau vom Jugendamt zu Besuch, um den Enkes etwas mitzuteilen. Sie seien wieder
Eltern geworden.
Die Adoptionsbeauftragte erzählte ihnen, was über ihre neue Tochter und deren leibliche Mutter bekannt war.
»Und wann können wir sie sehen?«
»Morgen.«
»Morgen!«
Er fühlte lauter Ausrufezeichen in seinen Schläfen pochen.
Sie besuchten ihre Tochter bei der Pflegefamilie und blieben zwei Tage, um sich und der Tochter ein klein wenig Zeit zu geben,
sich aneinander zu gewöhnen. Er wusste kaum wohin mit all den pochenden Ausrufezeichen in seinem Kopf und schrieb ein paar
Zeilen in seinen Terminkalender.
29. April 2009: Leila trat gegen halb fünf in unser Leben! Sie ist ein Sonnenschein, und es war sofort Vertrautheit da!
30. April 2009: Leila ist zu Hause! Lara hat eine Schwester! Wir sind wieder eine Familie!
Die Bundesliga nahm keine Rücksicht auf seine Vaterfreuden. Am selben Tag noch musste er schon wieder los, nach Bochum ins
Hotel, um am nächsten Tag Fußball zu spielen. Er rief Teresa aus dem Hotel mindestens zehn Mal an einem Nachmittag an. Was
machte Leila gerade? Hatte sie ihre Augen auf, mit diesem durchdringenden Blauton? Hatte sie schon getrunken?
Dieses Glück kannten sie doch gar nicht. Einfach zuzusehen, wie ihre Tochter ganz normal ein Fläschchen trank.
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Robert und Teresa mit ihrer Adoptivtochter Leila. [28]
Er ließ die Zuschauer in Bochum staunen. Er lag in der Luft, hielt einen Kopfball von Wahid Haschemian, Schüsse von Mimoun
Azaouagh und einiges mehr. Hannover siegte 2:0. Beim fünfzehnten Versuch in jener Saison hatten sie zum ersten Mal auswärts
gewonnen. Der
Kicker
schwärmte von einem »glänzend aufgelegten Enke« und wusste gar nicht, wie genau die Beschreibung in jeder Hinsicht auf ihn
passte.
Gegen halb drei in der Nacht kam er nach Hause. Sein Herz schlug noch schnell von der Anstrengung des Bundesligaspiels. Er
setzte sich neben Teresa und Leila auf das Bett und schaute sie eine Ewigkeit an.
Geschlafen habe ich dann auch noch! ,
notierte er in seinem Terminkalender.
Hannover spielte in den folgenden Wochen 1:1 gegen Frankfurt und siegte 3:2 in Karlsruhe.
Leila bleibt unbesiegt
, schloss er daraus.
Er rief die Freunde an, um ihnen zu sagen, dass er wieder Vater geworden war. Zwangsläufig kam das Gespräch auch auf seine
Zukunft.
»Der Torwartmarkt in der Bundesliga ist zu, da bewegt sich |359| nichts«, sagte er. »Vielleicht wird beim VfL Wolfsburg noch die Stelle frei. Das wäre ideal, dann könnte ich in Empede wohnen
bleiben und pendeln. Und wenn nicht, bleibe ich eben in Hannover und werde auch glücklich sein.«
Leila veränderte seinen Blick. So schlimm war das Theater bei Hannover 96 eigentlich gar nicht, kam es ihm auf einmal vor.
Sie hatten mit Jörg Schmadtke einen neuen Sportdirektor, »ich hoffe, er kann ein ausgleichendes Element zwischen der Mannschaft
und dem Trainer werden«.
Die Leute schätzten ihn in Hannover, er fühlte sich hier zu
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