Robert Enke
Hause, ob sie nun Achter oder Elfter wurden, war doch nicht die
Welt. Es war doch nur Fußball.
Er hatte nach dem Comeback eine der besten Halbserien seiner Karriere gespielt und rundete sie im Mai mit einem sehenswerten
Länderspiel gegen China ab.
Die Saison endete, und keiner der oberen Bundesligaklubs suchte einen neuen Torwart. Die Tagträumerei über Bayern München
hatte sich auf die skurrilste Art erledigt. Bayern hatte als neuen Trainer Louis van Gaal vorgestellt, seinen Peiniger aus
Barcelona. Der würde ihn garantiert nicht holen. Der Einzige, der Robert Enke ein Angebot machte, war Tim Wiese.
»Vielleicht wechselst du ja zu Werder«, sagte Werder Bremens Torwart auf einem Nationalmannschaftslehrgang zu ihm. Robert
Enke sah ihn an und wartete auf die Pointe.
»Wenn mich Manchester United holt.«
Robert Enke lächelte und stutzte dann, als er Tim Wieses Gesicht sah: Tim glaubte offenbar ernsthaft, dass das große United
an ihm interessiert sein könnte.
Es waren Ferien. Ein Druck, der während der Saison selbst an trainingsfreien Tagen auf ihm lastete, fiel ab. In den Ferien
fing er einen Schwatz mit einer Fremden neben ihm im Flugzeug an oder stellte sich wie ein Fan für ein Foto zu einer Benfica-Pappfigur
im Einkaufszentrum.
Es ging wieder nach Lissabon. Vorher wollten sie sich noch mit Marco im Rheinland treffen und auf die Hochzeit von |360| Simon Rolfes gehen, einem Kollegen aus der Nationalelf. Auf der Hochzeitsfeier in Eschweiler bei Aachen entdeckte er René
Adler. Sie fingen gleich zu reden an, und er merkte gar nicht, wie sie sich im Schlossgarten ein paar Meter von allen anderen
entfernten. Sie sprachen über Verletzungen, den Druck und Tim Wiese, und irgendwann, Robert Enke wusste nicht, wie viel Zeit
vergangen war, waren sie völlig befreit von dem Gefühl, voreinander eine Rolle spielen zu müssen.
Alle möglichen Leute legten ihm vehement nahe, er müsse jetzt unbedingt zu einem großen Verein ins Ausland wechseln, erzählte
René. Aber er sei unsicher, ob er wirklich weggehen solle; ob er reif dafür sei. Und Robert erzählte ihm von Frank de Boer,
Frans Hoek und Novelda, von seiner großen Erniedrigung. Er bestärkte René, sich nicht von Agenten, Mitspielern oder Zeitungen
in den Glauben hineindrängen zu lassen, er müsse schnellstens höher, weiter. Das Einzige, was diese Sucht nach dem nächsten
Schritt bringe, sei, dass die meisten Profis nicht bemerkten, wie gut es ihnen gerade gehe. Vielleicht komme irgendwann der
Punkt, an dem René selbst fühle, es sei Zeit zu gehen. Aber bis dahin sei es besser, sich zu erinnern, was er hatte, anstatt
sich nach etwas Höherem zu verzerren, das vielleicht nie kam.
Für René Adler war es das ehrlichste Gespräch, das er je mit einem Kollegen geführt hatte. »Unter Bundesligaprofis spielt
man sich immer vor, wie stark man doch sei. Da tat es richtig gut, mal mit jemandem über Ängste zu sprechen, über die Schwierigkeiten,
mit dem Druck zurechtzukommen, die doch jeden quälen.«
René dachte noch länger über ihr Gespräch nach. Und dabei reifte bei ihm nicht nur die Erkenntnis, dass er sehr gefestigt
sein müsse, bevor er den Sprung zu einem Weltklasseverein wage. Wie Robert ihm geraten hatte, rief er sich auch in Erinnerung,
was er schon alles erreicht hatte: Er war Nationalspieler mit 24.
Natürlich wollte René Adler mehr, Deutschlands Nummer eins werden. Selbstverständlich würde er sich gewaltig anstrengen, um
bei der Weltmeisterschaft 2010 im Tor zu stehen. Aber etwas anderes war ihm genauso wichtig: sich für den Traum |361| nicht zu zermürben. Zu seinem Torwarttrainer und Ziehvater Rüdiger Vollborn sagte er: »Wenn der Robbi die WM 2010 spielt,
habe ich kein Problem damit. Da geht die Welt nicht unter. Da setze ich mich auf die Ersatzbank und schaue, was danach passiert.«
Robert Enke ging auf der Hochzeit von Simon Rolfes in den Bankettsaal im Haus Kambach und sog laut Luft ein, wie er es immer
tat, wenn er etwas Wichtiges aussprechen wollte. Dann sagte er zu Teresa: »Der René ist wirklich schwer in Ordnung.«
Im Urlaub in Portugal begann er nach einigen Tagen voller Tatendrang für das neue Spieljahr zu trainieren. Es sollte die Saison
seines Lebens werden, das freundschaftliche Duell mit René Adler um die Nummer eins bei der Weltmeisterschaft in Südafrika.
Er war zuversichtlich, dass er mit dem Ausgang leben konnte, egal, ob er am Ende Deutschlands
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