Robert Enke
Nummer eins oder der Ersatzmann
werden würde. Vor allem jedoch war er sich auf unerklärliche Weise sicher, dass er in Südafrika im Tor stehen würde.
Die portugiesische Sonne hatte seine Haut gebräunt. Leila lag auf einer Decke auf der Terrasse. Er absolvierte mit nacktem
Oberkörper seine neueste Trainingsübung. Er machte über Leila Liegestütze und gab ihr dabei jedes Mal, wenn sich sein Körper
senkte, einen Kuss.
|362| NEUNZEHN
Der schwarze Hund
Robert Enke erfand die Kussmaschine. Er saß in Köln bei Jörg Neblung auf dem Parkettboden und hob dessen einjährige Tochter
Milla stufenweise mit den eckigen Bewegungen eines Roboters hoch. »Ich bin die Kussmaschine«, sagte er zu seinem Patenkind
und arbeitete ruckartig weiter, bis er das Kind vor sein Gesicht gehievt hatte. Dort beendete die Maschine ihr Programm mit
einem schmatzenden Kuss für Milla.
Jörg sah den beiden zu und dachte sich, wie blühend Robert aussah. Er trug ein weißes Sommerhemd, die Haut war bronzefarben.
Er hatte seinen Urlaub in Lissabon kurz unterbrochen, um ein Benefizspiel in Deutschland zu bestreiten. »Noch mal?«, fragte
er Milla, und die Kussmaschine begann von Neuem zu schnaufen.
Einen Monat später sah Jörg ihn wieder. Er reiste mit dem Bild der Kussmaschine im Kopf nach Kärnten, wo Hannover 96 im Juli
2009 für die neue Saison trainierte. Er traf einen nüchternen Torwart wieder.
»Ich weiß nicht, was los ist, ich fühle mich den ganzen Tag schlapp.«
»Das ist normal, Robbi, du wirst alt.«
Er wurde in wenigen Wochen 32.
Jörg bemühte sich, aber ein wirklich persönliches Gespräch kam nicht in Gang. Sie blieben bei den üblichen beruflichen Themen
hängen, Invalidenversicherung, René Adler und die endlose Frage, ob Hannover mit einem oder zwei Stürmern spielen sollte.
»Diese Saison geht es gegen den Abstieg«, prophezeite Robert Enke. Hannover hatte in den Jahren zuvor Millionen für Spieler
ausgegeben, die die Qualität und die Stimmung |363| der Mannschaft nicht hoben. Nun war kein Geld mehr da für Verstärkungen, und mit Michael Tarnat hatte einer der Gründungsväter
der Kabine zwei seine Karriere beendet.
Jörg dachte, vielleicht drücke Hannovers sportliche Situation Roberts Stimmung.
»Ich bin immer so müde«, sagte Robert am Telefon zu Teresa.
»Du warst im Trainingslager immer müde.«
Hanno Balitsch fiel auf, dass sich Robert Enke nachmittags oft auf sein Zimmer zurückzog, während die anderen auf der Hotelterrasse
noch mal die alten Geschichten erzählten, etwa wie sie Mille vor zwei Jahren im Trainingslager mit Eiern und Federn geteert
hatten. Das Scherzen und Fachsimpeln mit den Mitspielern war immer Roberts Lieblingsstunde gewesen. Oft hatte er für sie den
Serienhelden Stromberg imitiert.
Selbst im Training schien Robert nicht mehr richtig zur Mannschaft zu gehören. Er übte sehr viel allein mit Torwarttrainer
Jörg Sievers. Das Jahr der Weltmeisterschaft hatte begonnen. Er arbeitete hart an seinem Torwartspiel. Aber er verstand trotzdem
nicht, warum er morgens immer so schwer aus dem Bett kam. »Die Ferien waren auch ganz schön stressig«, sagte er, als er Marco
von seinem Hotelzimmer aus anrief.
Marco wunderte sich kurz: Wieso stressig? Als sie sich im Urlaub im Rheinland gesehen hatten, hatte ihm Robert noch erzählt,
wie herrlich alles wäre.
»In den letzten zwei Wochen in Lissabon habe ich mich nie richtig erholen können, mein Bruder war da, und es gab Streit, kranke
Straßenhunde rannten aufs Grundstück, die mussten wir zum Tierarzt bringen, da war auch wieder ein Tag futsch, und wegen dem
Haus mussten wir uns ständig mit irgendwelchen Handwerkern herumschlagen. Aber ich erzähle dir das bei Gelegenheit mal ausführlicher.«
Die Erschöpfung blieb, als er aus Österreich zurückkehrte. Er versuchte, sie zu ignorieren.
Der Bundestorwarttrainer Andreas Köpke besuchte ihn in Hannover beim Training. Am Vortag war Köpke bei Tim Wiese in Bremen
gewesen. Ein Jahr vor der Weltmeisterschaft wollte Köpke seinen Nationaltorhütern noch ein paar Anhaltspunkte |364| geben, wie sie ihr Spiel verbessern konnten. Dazu hatte er ihnen eine DVD mit Spielszenen zusammengestellt, in denen der ideale
Torwart sichtbar wurde. Für Robert Enke war besonders eine Frequenz mit Chelseas Torwart Peter Cech interessant. Bei Flanken
von außen stand Cech in der Mitte des Tors, oft drei Meter vor der Torlinie. Robert Enke stand viel näher zum
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