Robert Enke
sagst ihm, du hättest heute Nacht Schüttelfrost und Schweißausbrüche
gehabt, du wärst wahnsinnig schlapp.«
Das war gar nicht mal gelogen.
Der Mannschaftsarzt sagte, dann setze er besser mit dem Training aus. Er nehme ihm eine Blutprobe ab, um zu untersuchen, ob
er sich einen Virus eingefangen habe.
Robert Enke legte sich wieder ins Bett.
Er sollte wie bei der ersten Depression Tagebuch führen, das half, die Gedanken zu ordnen, sie aufschreiben. Aber er schaffte
meistens nicht mehr als ein, zwei Sätze.
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1. September 2009. Lag den halben Tag im Bett, ehe mich Terri am Telefon dazu gebracht hat aufzustehen. Gib nicht auf!
Der Bundestrainer ging weiterhin davon aus, dass Robert Enke im Weltmeisterschafts-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan
zum Abschluss des Lehrgangs spielen konnte.
Joachim Löw hatte sich im Sommer überraschend festgelegt, dass Enke die verbleibende Qualifikation hindurch im Tor stehen
würde. »In einer Phase, in der keiner damit rechnete, haben wir öffentlich gesagt: Er ist unsere Nummer eins in den entscheidenden
Spielen im Herbst. Einen größeren Vertrauensbeweis kannst du einem Torwart nicht geben«, sagt Andreas Köpke. Robert Enke,
der keine Ausreißer nach unten zeigte, schien im Moment die sicherste Wahl. Löw und Köpke hatten aber nicht nur das Torwartspiel,
sondern auch das Verhalten von Robert Enke und René Adler in ihrem einen Jahr in der Nationalelf beobachtet. Der Bundestrainer
glaubte, es würde beiden guttun, wenn er mit einer klaren Ansage die Hitze aus dem Torwartkampf nahm, die die Sportreporter
entfachten. Die Sehnsucht beider Torhüter nach einem Leben ohne Konflikte war der wichtigste Grund, das Torhüterduell so frühzeitig
zu klären.
Die Blutprobe war negativ, berichtete der Arzt. Medizinisch gab es keinen Grund, warum Robert in einer Woche nicht im Tor
stehen sollte. Und das Spiel gegen Aserbaidschan fand in Hannover statt, in seiner Stadt. Das würde er sich doch nicht entgehen
lassen.
Er fühle sich aber immer noch schlapp, sagte Robert Enke. Er absolvierte am dritten Lehrgangstag nur zwei leichte Einheiten
außerhalb des Mannschaftstrainings. Dabei traf er im Kölner Stadion die Junioren-Nationalelf, die sich einem Leistungstest
unterzog. Er erkannte den Jungen mit den Torwarthandschuhen und dem in die Höhe getrimmten Pony und lief gleich auf ihn zu.
Deutsche Fußballer begrüßten sich meistens mit einem Handschlag, bei dem die Hände laut aufeinanderklatschten. Robert |379| Enke hatte den portugiesischen Brauch beibehalten, Menschen, die er mochte, zu umarmen. Der Reflex, Sven Ulreich im Kölner
Stadion an sich zu drücken, überkam ihn spontan, für einen Moment hatte er seine Depression vergessen, das gab es auch. Anderthalb
Jahre waren vergangen, seit er den Jungen getröstet hatte. Inzwischen war Ulreich Junioren-Nationaltorwart geworden und sollte
im Sommer 2010 beim VfB Stuttgart Jens Lehmann im Tor ablösen. Er war wieder auf dem Weg. Sie redeten einige Minuten, zum
Abschied sagte Ulreich: »Falls wir uns bis dahin nicht mehr sehen, wünsche ich dir ganz viel Glück bei der Weltmeisterschaft.«
Und auf einmal schien Robert Enke in seinen Gedanken zu verschwinden. »Ja«, sagte er schließlich, noch immer abwesend, »mal
schauen, ob wir uns noch einmal sehen.«
Eine komische Verabschiedung, dachte sich Sven Ulreich einen Moment lang, als sie auseinandergegangen waren.
3. September 2009. Habe nicht geschlafen. Scheint alles nur sinnlos zu sein. Fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Denke
an S.
Er kontrollierte den schwarzen Hund nicht mehr. Er setzte sich zu René Adler und Per Mertesacker an den Essenstisch, der Vierte
ihrer Clique, Christoph Metzelder, war leider nicht mehr in der Nationalelf. René und Per begannen ein Gespräch, »und Robbi
musstest du die Sätze aus der Nase ziehen«, sagt René. »Er hat wie mechanisch gegessen. Das war nicht Robbi.« Er verfügte
nicht mehr über die Konzentration, sich flüssig am Gespräch zu beteiligen. Er wollte nur noch so schnell wie möglich zurück
auf sein Hotelzimmer, in seinen Schutzraum.
Aber die Prüfungen waren noch nicht zu Ende. Sie mussten zu einem Werbetermin von Mercedes. Man wies ihm ein Cabriolet zu,
damit Filmbilder gedreht werden konnten. Er konnte sich nicht mehr zusammenreißen. »Wie lange dauert das denn noch«, sagte
er zu René, »was soll das denn überhaupt alles?« René Adler wartete, bis er
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