Robert Enke
gewährt. Warum reagierte Enke dann so kalt auf seine Begrüßung, fragte sich Jürgens. Robert Enke schien
ihn gar nicht wahrzunehmen.
Die hohe Decke des Brauhauses warf die Stimmen der Gäste zurück in den Saal. Die Fußballszene war unter sich, ein paar Bundesligaspieler
aus Bochum und Köln plauderten mit Ehemaligen und Agenten. Jörg Neblung schaltete einige Male mitten im Gespräch ab, um zu
sehen, wo die Nationalspieler waren, ob Robert die Schultern oben behielt.
Zum Glück war er Torwart. Die Nummer eins wurde als Erste geehrt. Er trug ein braunes Cordsakko zu Jeans und sah schmal im
Gesicht aus; asketisch, dachten viele im Saal. Die Gespräche im hinteren Teil des Saals gingen weiter, ein Summen blieb, als
er auf der Bühne stand. Sein Laudator, der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga, hielt eine trockene Lobesrede. Als
der Geschäftsführer das Mikrofon an Robert weitergab, wartete Jörg Neblung starr, was in der nächsten Sekunde geschehen würde.
|376| Im Publikum kam es einigen vor, als sei Robert Enke verlegen. Andere dachten, er sage so spröde Danke, weil die Laudatio so
nüchtern gewesen war. Jörg Neblung glaubte, sein Freund lege gerade eine oscarreife Schauspielleistung hin. Er lächelte sogar!
Schnell machte Jörg ein Foto mit seiner Handykamera und schickte es per SMS an Teresa. »Du glaubst nicht, wie sich dein Mann
hier gerade präsentiert«, schrieb er dazu.
Nach einer Stunde holte der Bus die Nationalspieler wieder ab. Das Büfett war noch nicht eröffnet. Tim Jürgens von den
11 Freunden
eilte zum Ausgang. »Nochmals vielen Dank für euer Kommen, ohne euch wäre das eine traurige Veranstaltung geworden«, sagte
er zu Robert Enke. Der Torwart schüttelte seine Hand und ging weiter, ohne Jürgens anzusehen, ohne ein Wort zu sagen. »Mann,
die fliegen offenbar auf einer anderen Untertasse durch die Welt, sobald sie bei der Nationalmannschaft sind«, dachte sich
Jürgens, »wenn selbst so ein höflicher Mann wie Robert Enke sich so benimmt.«
In dem Moment, in dem er von der Bühne gestiegen war, hatte Robert Enke die Kraft wieder verlassen. Er war nicht mehr in der
Lage, in unvorhergesehenen Situationen zu reagieren.
Danach lag er im Hotelbett. Die Stimmungsaufheller ließen ihn nicht schlafen. Er wälzte sich herum, er war erschöpft und hellwach,
allein in der Dunkelheit. Er war eine leichte Beute für die Gedanken. Wie konnte er morgen trainieren, ein Sprungtest stand
auf dem Programm, an den Ergebnissen konnten die Bundestrainer schwarz auf weiß ablesen, dass er nur noch ein Wrack war. Wie
aber konnte er jemals wieder fit werden, wenn er morgen nicht trainierte?
Als er am nächsten Morgen aufwachte, hatte er nicht einmal zwei Stunden geschlafen. Er wollte nicht aufstehen. Aber er musste
aufstehen, das war doch das Wichtigste, nicht liegen bleiben. Doch außerhalb seines Betts warteten nur Herausforderungen,
Ansprüche, Erwartungen, die er nicht erfüllen konnte. Nur in seinem Bett, in der Dunkelheit seines mit Rollläden und Vorhängen
versiegelten Zimmers war er sicher.
Sein Handy klingelte. Teresa.
|377| »Ich habe keine Minute geschlafen. Und jetzt liege ich hier, starre nur auf den Wecker und schaffe es nicht hochzukommen.«
»Robbi, du stehst jetzt auf. Ich rufe in fünf Minuten wieder an, bis dahin hast du die Vorhänge aufgezogen und geduscht.«
Fünf Minuten später.
»Und?«
»Ich habe es geschafft. Danke!«
Teresa informierte Jörg. »Oh Gott, und das bei der Nationalmannschaft!« Er fuhr direkt ins Hotel.
Teresa hatte ihm die Zimmernummer genannt. Er nahm den Aufzug, ohne an der Rezeption zu fragen, und klopfte an die Tür. Robert
ließ ihn nicht herein. Jörg Neblung konnte nicht brüllen: »Robbi, mach auf!«, am Gang lagen die Zimmer der anderen Nationalspieler.
Er fuhr wieder hinunter und ließ sich von der Empfangsdame verbinden. Robert nahm den Hörer ab, vielleicht weil er fürchtete,
dass jemand vom Deutschen Fußball-Bund in der Leitung war.
»Ich komme runter«, versprach er Jörg.
Jörg wartete vergeblich. Er rief wieder an.
»Ich kann unmöglich den Sprungtest heute machen. Da merkt jeder, dass meine Beine nur noch Streichhölzer sind.«
Jörg wusste, dass Robert körperlich in ordentlicher Verfassung war. Aber er realisierte, dass es nicht der Moment und der
Ort waren, um gegen die schwarze Wand in Roberts Gehirn anzureden.
»Okay«, sagte Jörg. »Du gehst zum Mannschaftsarzt und
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