Robert Enke
Per Mertesacker in einem ruhigen Moment erwischte.
»Was ist denn mit Robbi los«, sagte er, »der läuft |380| hier ja herum wie Falschgeld.« Aber es gab, wie immer, eine Erklärung. »Ihm muss es wirklich schlecht gehen, mit dem Schüttelfrost
oder was er da hat.«
So überstand er die Tage, die Prüfungen. Doch jeder geschaffte Tag brachte ihn nur weiter in Bedrängnis: Das Spiel in Hannover
gegen Aserbaidschan rückte immer näher und damit die Erwartung, dass er spielte.
Am Samstag, vier Tage vor Aserbaidschan, hatte die Mannschaft abends Ausgang. Jörg verabredete einen Termin bei Valentin Markser
für ihn.
Sie hatten sich lange nicht gesehen. Nach Laras Tod, als er einmal Jörg in Köln besucht hatte, hatte er auch bei Valentin
vorbeigeschaut. Diesmal sollte es keine Sitzung im üblichen Sinne werden. Valentin Markser sollte ihn auf den Tag der Entscheidung
vorbereiten. Am nächsten oder übernächsten Tag musste er dem Bundestrainer sagen, ob er in Hannover spiele oder abreise.
Der Psychiater ging mit ihm Plan A durch. Demnach würde Robert Enke dem Mannschaftsarzt von anhaltenden Beschwerden erzählen,
Schweißausbrüche, Schlaflosigkeit. Er wolle sich in Hannover bei seinem Vertrauensarzt durchchecken lassen, sollte er sagen,
deshalb müsse er den Lehrgang abbrechen. Valentin Markser versuchte Robert Enke ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was es
für seine Psyche bedeuten würde, das Spiel in Hannover abzusagen. Dann besprachen sie Plan B.
Wie Robert sich weiter bei der Nationalelf verhalten würde, wie er das Spiel überstehen konnte.
6. September 2009. Am Abend Sitzung bei Valentin. Bin nicht ehrlich zu ihm.
Er hatte versucht, sein Leiden vor dem Psychiater herunterzuspielen. Er war nicht mehr aus seiner Rolle herausgekommen, er
glaubte unbewusst, selbst vor dem Mann, der ihm helfen sollte, die Lüge aufrechterhalten zu müssen, es ginge schon. Warum,
verstand er selbst nicht.
Er hatte sich über den Deutschen Fußball-Bund ein Auto geliehen und fuhr nach der Sitzung mit Valentin Markser in die Nacht.
|381| Teresa versuchte mehrmals vergeblich, ihn zu erreichen. Um halb zwölf ging er endlich an sein Handy.
»Ich fahre gerade in die Tiefgarage des Hotels.«
»Ach, das ist ja schön, dass das Gespräch mit Valentin so lange gedauert hat.«
»Das hat nicht lange gedauert.«
»Und wo warst du dann so lange?«
»Ich bin durch die Stadt gefahren.«
»Robbi, warum bist du durch die Stadt gefahren?«
»Einfach so, ein bisschen.«
»Sag mir, warum du durch die Stadt gefahren bist!«
»Ich habe geschaut, wo ich mich umbringen könnte.«
»Bist du verrückt!«
Es gelang ihm, sie zu beruhigen, es sei nur kurz in ihn gefahren, es sei schon wieder vorbei. Dann nahm er den Aufzug in sein
Hotelzimmer, öffnete die Balkontür, ging ganz nah an das Geländer heran und stellte sich vor, wie es wäre, hinunterzuspringen.
Am Sonntagmorgen ging er zu Mannschaftsarzt Tim Meyer und zog Plan A durch. Der Bundestrainer teilte den Sportreportern mit,
»aufgrund eines allgemeinen Infekts« falle Robert Enke für das Spiel gegen Aserbaidschan aus. Konkreter konnte es ihm der
Mannschaftsarzt nicht benennen. Tim Meyer hatte doch weder eine Viren- noch eine Bakterienerkrankung festgestellt. Die vage
Formulierung regte die Sportreporter zum Spekulieren an. Die Schweinegrippe war gerade das Modethema, hatte die Robert Enke
erwischt? Ansonsten schrieben die Sportreporter Einstiegssätze wie: »Es ist schon ein Drama mit Robert Enke.« Immer, wenn
er sich als Nummer eins der Nationalelf zu etablieren schien, stoppte ihn ein Missgeschick.
Das fiel natürlich auch den Bundestrainern auf.
»Wir haben schon diskutiert: Damals das Kahnbein, nun der Virus, das gibt’s doch gar nicht, immer wenn wichtige Spiele anstehen,
hat Robert so ein Pech«, erzählt Andreas Köpke. »Und als Tim Meyer dann sagte, das Blutbild sei normal, haben wir uns auch
gefragt: Hat er ein Kopfproblem?« Köpke selbst war |382| in seiner Torwartkarriere nahezu nie verletzt gewesen, doch als einmal ein Länderspiel gegen Georgien in seiner Fußballheimat,
Nürnberg, stattfand, riss ihm am Tag zuvor beim Training eine Muskelfaser in der Wade. Er ist überzeugt, dass sich sein Körper
angesichts des besonderen Stresses damals eine Auszeit nahm. »Aber ein Kahnbeinbruch beim Fausten – das kann doch nicht vom
Kopf kommen«, sagt Köpke. »Das konnten wir uns nicht vorstellen.« Der Virus dagegen
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