Robert Enke
konnte nur warnen.
Als Marco Villa wie jeden Montagabend mit Markser telefonierte, glaubte er herauszuhören, dass dringend etwas getan werden
musste. Marco rief Jörg Neblung an.
»Jörg, wir können das nicht so weiterlaufen lassen. Wenn der Fußball für Robbi solch eine Belastung ist, müssen wir ihn da
rausnehmen.«
»Darüber haben Teresa und ich mit ihm doch bereits mehrmals gesprochen. Er will auf keinen Fall in eine Klinik. Er will den
Fußball nicht verlieren.«
»Er wird darüber hinwegkommen, sollte er nicht mehr Fußballer sein. Irgendetwas anderes wird er schon finden. Dann ist er
halt irgendwann Hotelunternehmer oder was weiß ich. Es geht jetzt nicht um die Karriere, sondern dass er aus der Depression
herausfindet.«
»Aber wenn er aus dem Fußball aussteigt, wird ihn das erst recht krank machen.«
Zum ersten Mal stritten sich Roberts beste Freunde.
Marco saß in Italien und sollte Robert nicht anrufen, weil es ihn nur aufgewühlt hätte. Jörg hatte seine Frau mit der kleinen
Tochter allein in Köln gelassen und war in Empede eingezogen, um Teresa zu unterstützen. Die Verzweiflung aber, die Marco |385| und Jörg in diesem Moment spürten, war dieselbe. Sie waren weder kompetent noch befugt, über Robert Enkes Leben zu bestimmen.
Und doch schien die Situation genau dies von ihnen und Teresa zu erfordern.
Er saß im Garten und weinte.
Teresa rannte zu ihm.
»Robbi, was ist denn?«
»Ich will nicht sterben. Ich will noch mal nach Lissabon.«
LISBOA! ,
schrieb er abends ohne Zusatz in sein schwarzes Buch.
Nachmittags bat ihn Jörg einmal, doch kurz in die Waschküche zu kommen. Jörg schaltete das Licht aus. Der Raum hatte keine
Fenster, es war dunkel. »Das ist dein Zustand im Moment«, sagte Jörg. »Und jetzt versuch dich mal an den Wänden zur Tür vorzutasten.
Das ist dein Weg. Die Wände bauen wir dir, aber gehen musst du selbst.« Wenn Robert die Tür öffnete, würde er Licht sehen,
war Jörgs Absicht gewesen. Doktor Stroscher fand die Idee exzellent, als Jörg ihm später davon erzählte.
Robert dagegen ging nicht zur Tür, sondern zum Lichtschalter. Er drückte darauf und rief wie ein Gespenst: »Buh!« Dann schritt
er zur Tür, öffnete sie und sagte: »Und was sehe ich hinter der Tür? Mein Büro. Da werde ich ja erst recht depressiv.«
Für kleine Augenblicke, am Abend manchmal auch für Stunden, wirkte er ohne ersichtlichen Grund wie befreit von der Krankheit.
Und genauso abrupt fiel er wieder zurück in die Dunkelheit.
Die Nationalelf war inzwischen aus Hannover abgereist. Sie hatte Aserbaidschan 4:0 besiegt, René Adler hatte die wenige Arbeit
souverän bewältigt. Die Bundesliga ging weiter. Jeden Tag standen Sportreporter am Trainingsplatz und notierten akribisch,
welcher Spieler fehlte. Und wer fehlte, musste einen guten Grund haben, einen Kreuzbandriss oder eine Sehnenreizung. Robert
Enke absolvierte ein leichtes Einzeltraining, aber es gab noch immer keine Begründung, keine Rechtfertigung für seinen Rückzug
von der Mannschaft. In den Zeitungen wurde der »allgemeine Infekt« mit den Tagen zu einer »rätselhaften |386| Viruserkrankung« und schließlich zu einem »mysteriösen Virus«. Ein neuer, großer Druck lag auf Robert Enke. Wann würde er
endlich eine Erklärung liefern?
Er hatte dem Arzt der Nationalelf gesagt, er würde sich in Hannover von seinem Vertrauensarzt durchchecken lassen. Das hieß,
er musste nun irgendwelche medizinischen Proben vorzeigen, sonst wurde er unglaubwürdig. Und es war auch nicht auszuschließen,
dass er tatsächlich einen Virus in sich trug. Diese permanente Müdigkeit im Sommer hatte ihn doch vor der Depression heimgesucht,
vielleicht bedingte das eine doch das andere, vielleicht hatte ihn die körperliche Erschöpfung so geschwächt, dass die psychische
wiederkommen konnte?
Hannovers Mannschaftsarzt schickte ihn zur Herzuntersuchung ins Bundesleistungszentrum am Stadion. Der untersuchende Arzt
stutzte. Robert Enkes Herzschlag reagierte mit kurzer Verzögerung auf Belastung. Das war nicht normal. Der Arzt wusste ja
nicht, dass Robert wegen seiner Depression Psychopharmaka nahm, die seine Reaktion verzögerten.
Er wurde zu einem Herzspezialisten in das Agnes-Karll-Krankenhaus am Messegelände überwiesen. Jörg Neblung begleitete ihn
und nahm im Warteraum Platz. Auf einmal rief ihn Robert ins Untersuchungszimmer. Der Arzt wolle ihm auch eine Urin- und Blutprobe
abnehmen, um
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