Robert Enke
blieb merkwürdig. Die Trainer befragten
Hans-Dieter Hermann, den Sportpsychologen der Nationalmannschaft. Er hatte mit Robert Enke in Köln gesprochen. Robert habe
einen sehr aufgeräumten Eindruck gemacht, sagte Hermann den Trainern. Damit war die Sache erledigt. Robert Enke hatte einfach
immer Pech.
Der Fahrdienst der Nationalelf brachte ihn nach Empede zurück. Er hatte sich nicht rasiert, er hatte weder die Kraft noch
die Lust dazu. Er schaute auf sich selbst herab. Er war ausgestiegen. Er hatte versagt.
»Robbi, du musst mir etwas versprechen«, sagte Teresa, als sie im Haus waren, allein. Er schaute widerwillig zu ihr.
»Ich weiß, die Depression lässt dich im Moment alles schwarzsehen, aber du musst dagegen ankämpfen, wir kämpfen hier alle
mit dir, du kannst dich nicht einfach auf einen Balkon stellen und springen!«
»Es ist doch sowieso alles sinnlos.«
»Robbi, versprich mir, dass du dich nicht umbringst!«
»Ich verspreche es.«
Sie schaute ihm in die Augen, und er hielt dem Blick stand. »Wenn du nur einmal eine halbe Stunde meinen Kopf hättest, wüsstest
du, wie ich mich fühle«, sagte er. Es klang wie ein Angebot zur Versöhnung.
Der Todeswunsch taucht in den meisten Depressionen mehr oder weniger stark auf, er ist Teil der Krankheit. Bei Robert Enke
war er noch nie so konkret geworden wie in jener Samstagnacht in Köln. Die Intensität der Depression ging weit über die von
2003 hinaus.
Er hatte geglaubt, sich mit seiner Absage für das Spiel in Hannover |383| von einem Druck zu befreien. Aber nun lastete es als noch viel größerer Druck auf ihm, dass er abgesagt hatte. Vor sich selbst
war er gescheitert.
Jörg Neblung brach seinen Urlaub auf Mallorca ab, um zu Robert und Teresa zu kommen. Sie saßen, wie so oft, auf den orangefarbenen
Stühlen in der Küche. Sie spielten Roberts Optionen durch. Sollte er eine Verletzung vortäuschen und sich heimlich therapieren
lassen? Sollte er seine Krankheit öffentlich machen und zur Behandlung in eine Klinik gehen?
Er sah bei jedem möglichen Ausweg sofort einen Grund, warum es niemals klappen konnte. Überall nur Aussichtslosigkeit zu sehen
lag in der Natur der Krankheit. Aber Teresa und Jörg konnten ihm nur schwer widersprechen. Jeder mögliche Ausweg schien nur
neue Probleme aufzuwerfen.
Als er vor sechs Jahren bei Fenerbahçe gekündigt hatte, war er für die Öffentlichkeit ein halb vergessenes Talent gewesen,
er konnte vier Monate verschwinden, und niemand fragte danach, was er eigentlich machte. Nun war er die Nummer eins im Land
der Torhüter. Wenn er Monate für eine Therapie aussetzte oder gar in eine Klinik ging, würde er es nicht verheimlichen können.
An die Weltmeisterschaft wäre dann sowieso nicht mehr zu denken, aber was käme dann nach der Therapie, nach der Klinik? Wäre
er stark genug, unter der Beobachtung der Medien als
der Depressive
wieder ein Comeback zu schaffen? Würde er verbittern, wenn er den Fußball ganz aufgeben müsste?
»Ich gehe in keine Klinik!«, rief er.
Am Ende des Gesprächs schienen sie wieder am Anfang angelangt: Sie sahen keine bessere Möglichkeit, als dass Robert mit dem
Versteckspiel und der Behandlung bei Doktor Stroscher weitermachte. Irgendwann mussten die Antidepressiva doch anschlagen!
Als Robert ins Bett gegangen war, blieben Jörg und Teresa noch einen Moment in der Diele stehen.
»Was machst du denn?«, fragte Teresa.
Jörg stellte einen Kerzenständer hinter die Zwischentür.
»Falls er heute Nacht abhauen will, um sich etwas anzutun. Dann stolpert er über den Ständer, und wir hören ihn.«
|384| Sie wussten von Valentin Markser, dass Selbstmordgedanken allein noch kein Grund zur Panik waren. Sie mussten wachsam sein,
aber auch darauf achten, dass sie ihm durch eine zu starke Kontrolle nicht das Gefühl gaben, er sei entmündigt. Sonst trieben
sie ihn nur tiefer in die Depression.
Am zweiten Morgen zerbrach der Porzellankerzenständer. Teresa hatte vergessen, dass er hinter der Zwischentür stand, und war
darübergefallen.
Valentin Markser war es gewohnt, dass man ihn belog. Depressive Patienten neigen oft dazu, in einer Art falschen Selbstschutzes
ihre Krankheit selbst vor dem Psychiater zu schönen. Robert Enke war da bei seinem Samstagabendbesuch in Köln keine Ausnahme
gewesen. Markser hatte auch so die Schwere der Krankheit erkannt. Aber Robert war in Behandlung eines Kollegen, er konnte
sich nicht einmischen. Er
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