Robert Enke
ihrer Sitzreihe
ohne Angst vor Mithörern unterhalten.
Robert erzählte ihm von seiner Flucht aus Lissabon, von Novelda, Frank de Boer, Istanbul. Eine Depression töte alle positiven
Gefühle, »plötzlich erscheint dir alles sinnlos, ausweglos«, erklärte er Hanno. Es war, als ob der Zugang zu seinem Gehirn
auf einen kleinen Spalt reduziert würde, durch den nur noch negative Regungen hindurchschlüpften, Angst, Stress, Traurigkeit,
Zorn, Überforderung, Erschöpfung. Nichtdepressive Menschen könnten die Macht der Depressionen selten nachvollziehen, weil
sie nicht verstanden, dass es eine Krankheit war. Die Leute fragten sich, warum er alles so negativ sehe, warum er sich nicht
mal zusammenreiße. Sie verstanden nicht, dass er machtlos gegen den schwarzen Blick auf alles war. Er kontrollierte das nicht
mehr. Seine Gehirnfunktionen waren verändert, genau konnte er es nicht wiedergeben, Synapsen in seinem Hirn seien wohl getrennt.
Es fiel ihm schwer, sich im Alltag noch zu konzentrieren, aber über seine Krankheit konnte er detailliert und nachvollziehbar
reden.
Es wurde nicht besser. Am 24. August, seinem 32. Geburtstag, fing er an zu weinen, als seine Schwester Anja anrief. Vor anderen |374| Gratulanten wie Torsten Ziegner, dem Jugendfreund aus Jena, spielte er souverän den coolen Torwart, »ich brauche einfach nur
weiterzuspielen, dann bin ich bei der WM die Nummer eins«. Als ihm seine Mutter alles Gute gewünscht hatte, fragte er unvermittelt:
»Mutter, hattest du schon mal Depressionen?«
»Nein, hatte ich nicht. Ich war auch schon mal abgrundtief traurig, aber Depressionen, nein.«
Heute fragt sich die Mutter, ob er auf eine Rückfrage von ihr gewartet hatte, ob er ihr von seinen Abgründen erzählen wollte.
Oder hatte er wissen wollen, ob er erblich belastet war?
Aber Gisela Enke traute sich nicht, auf das Thema einzugehen. Danach telefonierte die Mutter nur noch mit Teresa. Er wolle
mit niemandem reden, er brauche Ruhe und seine Routinen, um das Gleichgewicht wiederzufinden, ließ er ausrichten. Die Familie
hielt sich an seine Bitte. Sie wollten ihm doch helfen.
Die Wilkes hatten noch einen Heizstrahler für ihn. Ihr Geburtstagsgeschenk, er saß doch immer so gern spätabends im Garten.
Es sei besser, wenn sie ihm das Geschenk erst einmal nicht brachten, sagte Teresa. »Sonst steht noch etwas herum. Er regt
sich schon genug über alles auf, was irgendwo steht.«
Sie hatte die Freunde aus der Nachbarschaft eingeweiht. »Benehmt euch ganz normal«, sagte sie zu den Wilkes. »Aber ich habe
es nicht geschafft«, sagt Uli. »Ich wusste nicht mehr, wie ich mit ihm umgehen sollte, ich war total verkrampft.«
An Laras Geburtstag, eine Woche nach seinem eigenen, ging er mit Teresa vormittags ans Grab und ließ einen weißen Luftballon
aufsteigen. Er schwitzte vor Nervosität. Um 15.31 Uhr ging der ICE nach Köln. Er würde für zehn Tage auf einem Lehrgang der
Nationalelf sein. Wie sollte er da durchkommen? Wie sollte er sich zehn Tage lang auf engstem Raum mit der Mannschaft nicht
verraten? Wenn seine Depression rauskam, dann war alles aus. Oder war dann endlich alles gut?
»Robbi war eingemauert«, sagt Marco Villa. »Er hatte diese zwei großen Träume: die Weltmeisterschaft spielen und sich outen.
Und er wusste, beides ging nicht, das eine schloss das andere definitiv aus. Er fühlte, egal, was er tat, er kam nicht raus
aus der Mauer um ihn herum.«
|375| Ein befreundeter Arzt verschrieb ihm für den Lehrgang Stimmungsaufheller.
Robert Enke schrieb einen Satz in sein Moleskine-Buch.
31. August 2009. Es war ein Kampf, aber Terri hat mich dazu gebracht, nach Köln zu fahren.
Der Montag war der Anreisetag der Nationalelf. Die Nationalspieler saßen locker im Hotel zusammen, es warteten noch keine
Pflichten. Für ihn jedoch wurde der Abend schon zur ersten Prüfung. Die Gewerkschaft der Profifußballer VdV hatte ihn in die
Elf der Saison 2008 /09 gewählt und bat zur Preisverleihung. Er nahm die Stimmungsaufheller, um die Feier zu überstehen.
Ein Kleinbus brachte ihn mit drei weiteren Nationalspielern zum Brauhaus am Hauptbahnhof, wo die Ehrung stattfand. Am Eingang
begrüßte sie Tim Jürgens, der stellvertretende Chefredakteur von
11 Freunde
. Die Zeitschrift richtete die Veranstaltung in Kooperation mit der Gewerkschaft aus. Jürgens wusste, dass sein Magazin Robert
Enke gefiel, der Torwart hatte
11 Freunde
zwei offene Interviews
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