Robert Enke
eingeplant, die Nummer eins zu sein«, sagt Walter Junghans.
Bayern gewann den Test 2:1. Das gleißende Licht richtete sich gegen Bossio. 60 000 pfiffen und buhten ihn zornig aus. Er hatte bei beiden Münchner Toren keine glückliche Figur gemacht.
Es war nur ein Testspiel, das Ergebnis schon im Moment des Schlusspfiffs bedeutungslos. Keiner redet von solchen Abenden,
wenn in Fußballkarrieren Bilanz gezogen wird; denn niemand mag glauben, dass es wirklich solche unbedeutenden Augenblicke
sind, die über Karrieren entscheiden.
Zehn Tage später, unmittelbar vor dem Start der portugiesischen Meisterschaft, entzog der Weltfußballverband FIFA Bossio einstweilig
die Spielberechtigung für Benfica. Sein vorheriger Klub, Estudiantes de la Plata, hatte Benfica bei der FIFA angezeigt. Die
fällige Ablöse sei nicht bezahlt worden.
Die ganze Wahrheit, sagt Heynckes, kenne die Öffentlichkeit bis heute nicht: »Bossio war Benficas Präsidium nach seinem unglücklichen
Spiel gegen Bayern nicht mehr gut genug. Benfica hat die Zahlungen an Estudiantes erheblich hinausgezögert.«
Carlos Bossio war gesperrt, Nuno Santos verletzt, Sergej Owtschinnikow mittlerweile an den Vorortserstligisten FC Alverca
abgeschoben. Niemand außer Robert Enke konnte spielen.
Er überbrachte Teresa die Nachricht beiläufig, so wie er gute Neuigkeiten immer am liebsten weiterleitete. Er hatte eine große
Freude daran, dann die Aufregung im Gesicht der anderen erwachen zu sehen.
»Ach, übrigens, am Samstag spiele ich.«
Sie saßen an einem Swimmingpool unter Palmen, mit Blick über einen im Stil der italienischen Renaissance angelegten Garten |97| mit geometrisch geschnittenen Zierbäumen. Sie waren in das Gästehaus des Palácio Fronteira eingezogen.
In einer Stadt, deren Namen er schon vergaß, als er noch dort war, in einem Stadion, in dem hinter den Toren statt Tribünen
Grashügel lagen, musste Robert Enke beweisen, dass er die Angst verdrängen konnte. Benfica begann die Saison der ersten portugiesischen
Liga gegen den FC Rio Ave, einen Klub aus der Kleinstadt Vila da Conde im Niemandsland hinter Porto. Das Stadion fasste nur
12 000 Menschen; damit war Platz für 60 Prozent der Einwohner des Orts. Der Grashügel hinter ihm wimmelte von Jugendlichen und
Kindern, ihre Stimmen schwollen zu einem unangenehmen, konstanten Piepsen im Ohr an.
Zu Hause in Deutschland tigerte Jörg Neblung durch seine Wohnung. Der Flippi hatte entschieden, dass doch niemand von der
Agentur zu diesem Spiel am Rande Europas reisen musste. »Aus heutiger Sicht war das grob fahrlässig, wenn man bedenkt, wie
es Robert ging«, sagt Jörg Neblung. Im Satellitenfernsehen kamen zwar Snookerturniere oder Dartmeisterschaften, aber Fußballspiele
aus Portugal dann doch nicht. Er ließ sich per SMS von Teresa aus Lissabon informieren.
Spiel aus. 1:1. Gut gehalten.
Jörg atmete aus.
Eine Woche später, nach dem ersten Heimspiel von Benfica, besetzte Robert Enke schon die Titelseiten der Sportzeitungen.
Voa Enke!
Enke fliegt!, prangte auf Portugals meistverkaufter Zeitung
A Bola
.
In einem dieser Momente, wenn der Torwart nicht weiß, wie er es tut, hob er ab und parierte einen heftigen Kopfball aus fünf
Metern. Paraden wie diese erlebte er in rauschhafter Langsamkeit. Schlagartig erreichte er eine höhere Stufe der Wahrnehmung,
er sah auf einmal gestochen scharf, die Farben des Trikots, die Bewegungen des Stürmers. Andere erleben eine solche Grenzerfahrung
allenfalls in traumatischen Schrecksituationen, wenn sie im Auto abrupt bremsen müssen oder vom Fahrrad stürzen. Hat er die
Gefahr einmal gemeistert, wird ein Torwart süchtig nach diesen wunderschön schrecklichen |98| Augenblicken im Spiel. Gegen Ende des ersten Heimspiels boxte Robert Enke noch einen Querschläger um den Pfosten und rettete
Benficas 1:0-Sieg über Salgueiros.
A Luz
, das Licht, strahlte. »Enke schon Publikumsliebling in Lissabon«, meldeten in Deutschland die Nachrichtenagenturen, denen
nie etwas schnell genug gehen kann.
Robert Enkes typische Abwehrhaltung mit dem nach innen gebeugten Knie bei Eins-gegen-eins-Situationen. [10]
Die Sportreporter wollten wissen, ob die Lage bei Benfica mit nur noch einem gestandenen Profitorwart im Aufgebot nicht bedenklich
sei, auch für ihn, so ganz ohne Rivalen, der ihn im Training pusche. Druck machen, Druck kriegen schien offenbar auch im portugiesischen
Fußball eine populäre Methode. »Mir
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