Robert Enke
Robert Enke, Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1996 mit Argentinien, 146 Spiele in
der ersten argentinischen Liga für Estudiantes.
Den Rest sagten die Fotos im Internet. »Ein Riesenkerl, 1,94 Meter, und ein Kinn wie Sylvester Stallone«, sagt Jörg Neblung.
»Das war ein Torwart mit dem Profil einer Nummer eins.« Benfica Lissabon rechnete nicht mehr wirklich mit Robert Enke und
vertraute ihm nach seiner überstürzten Abreise noch weniger. Das war die Botschaft in der Meldung aus Portugal.
Jörg erzählte Robert davon, als hätte es nicht besser kommen können. »Du hast jetzt überhaupt keinen Druck in Lissabon, die
haben noch einen Torwart aus Argentinien geholt, eventuell wird der am Anfang spielen, aber das wäre vielleicht gar nicht
so schlecht, dann kannst du dich in Ruhe dort einleben.«
Die Haut bronzefarben, das blonde Haar leuchtend nach dem Sommerurlaub, sagte Robert Enke, vernünftig, wie ihn alle kannten,
natürlich verstehe er, dass er nach Lissabon müsse, wenn er den Vertrag unterschrieben habe.
Teresa organisierte den Umzug aus Gierath. Am Tag vor ihrer Abreise nach Lissabon sahen sie zu, wie die Möbelpacker die Kisten
aus der Dachwohnung schleppten. Die Koffer und Taschen für den Flug standen in der Küche. Nachdem der Umzugslaster abgefahren
war, schaute Teresa noch einmal durch die leere Wohnung, ob sie nichts vergessen hatten. Es war Samstag, die Grundschule gegenüber
geschlossen, die Stille eines Dorfes am Wochenende passte zur Leere der Wohnung. Robert stellte sich vor Teresa.
»Ich komme nicht mit.«
»Was?«
»Ich komme nicht mit. Wo ist der Autoschlüssel?«
Teresa war zu perplex, um irgendetwas zu denken, geschweige denn zu unternehmen, als er die Treppen hinunterrannte.
Sie rief ihn auf dem Handy an. Er hatte es ausgeschaltet. Sie rief seine Eltern an. »Falls sich euer Sohn meldet, dann denkt
euch |90| etwas aus, wie ihr ihn beruhigt. Er ist nämlich gerade abgehauen.«
Es gelang ihr noch immer nicht, so ernst zu sein, wie sie es gerne wollte. Dazu war sein Verhalten zu unmöglich.
Sie fuhr mit ihrem Auto zu Jörg und Dörthe nach Rheydt. Unweit vom alten Bauernhof von Oma Frida sah sie Jörg in Joggingkleidung
im Wald verschwinden. Lass ihn laufen, dachte sie sich, reicht auch, wenn ich ihn in einer Stunde mit der Neuigkeit erschrecke.
Mit dem angenehmen Gefühl der Erschöpfung nach dem Sport kehrte Jörg eine Dreiviertelstunde später zurück. Er begrüßte Teresa
und fragte beiläufig: »Wo ist Robbi?«
»Abgehauen.«
»Quatsch.«
»Nein, wirklich. Er ist abgehauen.«
Teresa, Dörthe und Jörg waren sich bewusst, dass es absolut unangemessen war zu lachen, und deshalb war es das Einzige, was
sie tun konnten: Sie lachten.
Alle paar Minuten wählten sie seine Handynummer. Das Telefon blieb ausgeschaltet. Sie schickten ihm SMS-Nachrichten. Sie konnten
nur weiter warten. Die Dunkelheit vertrieb gemächlich den herrlichen Tag, es wurde 21 Uhr. Sieben Stunden hatten sie ihn vermisst,
als es klingelte. Teresa rannte zur Tür und sah ihn am Fuß der steilen Treppe stehen. Er blickte kurz hinauf und dann wieder
weg, als ginge ihn nichts auf dieser Welt irgendetwas an.
»Mein Gott, Robbi, wo warst du?«
»Weg.«
Eine konkretere Antwort hat Teresa nie erhalten. Sie drängte auch nicht darauf. Sie hatte das Gefühl, dass sein inneres Gleichgewicht
gerade wiederhergestellt worden war und dass sie die feine Balance keinesfalls noch einmal ins Wanken bringen durfte.
»Dann geht es heute nach Lissabon«, sagte sie am nächsten Morgen, sehr bemüht, den Satz nicht wie eine Frage, aber auch nicht
wie einen Befehl klingen zu lassen.
Er nickte, und niemand konnte erkennen, was er fühlte.
|91| FÜNF
Die Stadt des Lichts
Sie bezogen ein Hotelzimmer am Flughafen, wo die Leute wohnen, die schnell wieder wegwollen. Der kleine Park in der Nähe des
Hotels hieß Tal der Stille. Von dort waren es nur fünf Minuten zum alten Weltausstellungsgelände, dem einen vertrauten Ort,
von dem aus sie sich in die fremde Stadt vortasten konnten.
Die milde Luft der hereinbrechenden Nacht nach dem heißen Julitag legte sich auf ihre Körper, als Teresa von einer Restaurantterrasse
auf dem Weltausstellungsgelände über den Tejo schaute. Die Lichter Lissabons schaukelten auf dem Fluss, die Fahnen aller Länder
flatterten an den Masten zu Füßen der Vasco-da-Gama-Brücke. Es ging ein friedlicher Wind.
»Ist es nicht wunderschön
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