Robert Enke
Gedanken. Einerseits waren sie nur zum Verteidigen gekommen,
andererseits mussten sie jetzt offensiver werden. Benfica verlor die Ordnung, ungeahnter Spielraum öffnete sich Celta, das
damals eines der feinsten Ensembles Europas besaß, mit Claude Makelele als Wellenbrecher im Mittelfeld sowie den Russen Alexander
Mostovoi und Waleri Karpin, die im Angriff Exzentrik wie Genialität aussehen ließen. Ihr Passspiel wurde zum Strudel. Makelele
tauchte frei vor Robert Enke auf, Mario Turdó malte mit aller Ruhe der Welt einen Schuss mit parabolischer Kurve über Enke
in den Himmel, nach 42 Minuten hieß es 4:0. In der Halbzeit erklärte Heynckes tobend, was sie alles besser machen müssten.
16 Spielminuten später, ein Drittel der Partie noch zu bestreiten, stand es 7:0. »Das Spiel hieß: Robert alleine gegen elf«,
sagt Moreira. »Und er war bei jedem Tor aufs Neue chancenlos.«
Als Robert Enke vom Fußballplatz ging, blickte er in die Kurve mit den Benficistas, 8000 Fans, die die wenigen Kilometer aus
Nordportugal über die Grenze nach Galicien gekommen waren. Der Anblick, die überwältigende Schönheit der Traurigkeit, blieb
ihm für immer, »8000 Menschen, und keiner sagte einen Laut«.
Der Präsident João Vale e Azevedo stürmte in die Umkleidekabine, fuchtelte und brüllte. Die 3000 Fans, die dem Team nachts
um halb zwei bei der Rückkehr aus Nordspanien am Flughafen Lissabon auflauerten, hatten ihre Schimpfwörter auch wieder gefunden.
Robert Enke sagte den Sportreportern ruhig: »Sieben Gegentore kenne ich doch schon.«
»Eine Niederlage ist eine andere Niederlage für einen Torwart, wenn er daran keine Schuld trägt«, sagt sein Torwarttrainer
Walter Junghans.
Zwei Tage später, vor dem Heimspiel gegen Campomaiorense, war Robert Enke wieder mit Moreira in seinem Hotelzimmer. In Vigo
hatte Roberts kleiner Torwartbruder wegen einer Verletzung gefehlt.
|105| »Kaum bin ich einmal nicht dabei, lässt du sieben Tore rein.«
»Moreira,
bring mir Wasser
!«
Es lief deutsches Fernsehen.
»Warum kommen in diesem Land nur 1000 Zuschauer zu manchen Erstligaspielen, aber 3000 Leute stehen mitten in der Nacht auf,
um uns am Flughafen zu beschimpfen; ich verstehe dieses Land nicht, Moreira.«
»Robert, das ist normal, du bist in Portugal.«
»Und warum spricht hier niemand Englisch – gibt es keine Schulen in Portugal?«
»Englisch ist bis zur achten Klasse obligatorisch, und dann vergessen es alle, das ist normal, du bist in Portugal.«
»Wo es Geschwindigkeitsbeschränkungen von 120 km / h auf den Autobahnen gibt, damit dann alle 190 fahren.«
»Das ist normal, du bist in Portugal, wir sind verrückt hier.«
»Und warum mag ich dann dieses Land so gerne?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Robert.«
In ihrem Palast machten Teresa und Robert vier Monate nach ihrem Einzug noch eine neue portugiesische Erfahrung. Nirgendwo
friert man so wie in den warmen Ländern Südeuropas.
Wie viele Wohnungen in Süditalien, Spanien oder Portugal hatte auch das Gästehaus des Palácio Fronteira keine Heizung. Teresa
und Robert hatten nicht darauf geachtet, als sie im August an einem sonnenüberfluteten Tag eingezogen waren.
»Es gab in jedem Zimmer einen Kamin, und im 17. Jahrhundert liefen wahrscheinlich fünf Angestellte durch das Haus, die dafür
sorgten, dass die Feuer immer brannten«, sagt Teresa.
Feucht kroch die Kälte durch die Wände.
In der Küche konnten sie ihren Atem sehen. Die Kleidung in den Schränken roch modrig. Sie kauften zwei elektrische Heizkörper
und begannen, in einem Haus mit sechs Bädern in einem einzigen Zimmer zu wohnen. Hubert Roßkamp, der Jäger aus Gierath, kam
zu Besuch. »Bring uns Heizdecken mit!«, hatte Teresa gebeten. Eine halbe Stunde, bevor sie ins Bett gingen, schalteten sie
die Decken ein. »Schlimm war es, wenn du etwas |106| im Bad vergessen hattest. Dann musstest du noch einmal aus dem Bett raus.«
Robert hatte es besser als sie. Er konnte im Stadion duschen. Bald begann er, sich dort auch die Zähne zu putzen.
Die Winterbesucher im Palast waren nicht ganz so begeistert wie die Sommergäste.
»Das ist der erste begehbare Kühlschrank der Welt«, sagte Teresas Bruder Florian. Eines Morgens sah Teresa ihren Bruder regungslos,
mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen vor dem Haus stehen, den Kopf der Sonne zugeneigt.
»Flo, was machst du?«, rief sie.
»Ich wärme mich auf!«
Still festigte sich in Lissabon eine
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