Robert Enke
Mit dem Pass des Torwarts beginne schon der Angriff, dementsprechend präzise,
vorausschauend und variabel müsse ein Torwart den Ball spielen können. Zudem rückte Barças Abwehr weiter vor als alle anderen
Verteidigungsreihen, damit die Elf ihren edelmütigen Angriffsfußball aufziehen konnte. Dies zwang den Torwart, weiter denn
je vorzurücken, um den Spielraum für |147| Konter zwischen ihm und der Verteidigung nicht zu groß werden zu lassen. Er hatte sich bei Benfica mühsam antrainiert, seine
Basisposition bis auf sieben Meter vor die Torlinie vorzuverlegen. Jetzt sollte er noch weiter vorne spielen? Er strengte
sich an, obwohl er sich unwohl dabei fühlte, und schon brüllte der Trainer wieder,
noch weiter vor, Robert, ich will, dass du spielst wie van der Sar
.
»Ständig erzählten uns die Trainer von Edwin van der Sar«, erinnert sich Bonano: »Van der Sar macht dies, und van der Sar
macht das.« Als der niederländische Nationaltorwart Edwin van der Sar bei der Europameisterschaft 1996 im Match gegen die
Schweiz einen Eckball abfing und mit einem präzisen, weiten Drop-kick-Abschlag postwendend Denis Bergkamps Tor einleitete,
hatte er in einer Sekunde den sogenannten modernen Torwart geschaffen: Er bereinigte Torgefahr, bevor sie entstehen konnte,
und war der Initiator des Angriffsspiels; er agierte.
In Barcelona fand Robert Enke, die Trainer hatten recht, wenn sie ihn anschrien,
deine Füße
! »Ich bin nicht Maradona. Ich habe Defizite beim Mitspielen mit dem Fuß«, sagte er.
Er wollte lernen. Er glaubte, dass die Trainer es gut mit ihm meinten. In seiner Hochstimmung tat er sich schwer, irgendetwas
Schlechtes zu sehen. Es war wunderbar, in Barcelona zu sein, und angesichts Bonanos anhaltenden Ringens um die Form musste
eigentlich er die Saison als Nummer eins beginnen.
»Schon bald merkten wir, dass Robert eine phantastische Einstellung hatte«, sagt Frans Hoek, der Torwarttrainer. »Er war sehr
willig. Er war offen für Kritik und Anweisungen.«
Bei einem Turnier in Amsterdam, der Generalprobe zum Saisonstart, würden Bonano und Enke jeweils ein Spiel bestreiten. Bonano
machte bei der 3:4-Niederlage gegen Ajax einen verunsicherten Eindruck. Er ließ Flankenbälle fallen, er lenkte einen Schuss
zum Eckball, der sowieso neben das Tor geflogen wäre. Robert Enke kam beim 4:2-Sieg über den AC Parma beim ersten Gegentor
sichtbar zu spät aus der Tiefe des Strafraums, als Marco Di Vaio allein auf ihn zurannte.
»In Trainingsspielen auf niedrigem Tempo kam er mit dem großen Abstand eines Barça-Torwarts zur Abwehr schon gut zurecht«, |148| sagt Hoek. »Doch in Testspielen, auf Wettkampftempo, war zu erkennen, dass er noch Schwierigkeiten mit dem Stellungsspiel
in unserem sehr besonderen Spielsystem hatte. Dass er über vorzügliche Reflexe auf der Torlinie verfügte, war schnell zu sehen,
doch die Frage, die niemand beantworten konnte, war: Wie lange würde er brauchen, um sich auf den Barça-Stil umzustellen?«
Im nächsten Testspiel, sagte van Gaal, würde Victor Valdés spielen.
»Da wurde Robbi nervös«, sagt Teresa. »Wieso auf einmal Victor?«
Sie lenkten sich mit den Hunden im Garten ab, als es eines Nachmittags an ihrer Haustür in Sant Cugat klingelte. Sie erwarteten
weder Handwerker noch den Sprachlehrer und kannten ansonsten noch niemanden, der einen Grund haben könnte, bei ihnen vorbeizuschauen.
Teresa öffnete die Tür.
Eine Frau, ihre schlanke Figur durch eine Kurzhaarfrisur betont, stand vor ihr und sagte auf Deutsch: »Hallo, ich bin Frauke.«
Die Hunde hatten sich am neuen Wohnort schneller einen Ruf gemacht als der Torwart.
Ihr sei zu Ohren gekommen, dass sie sieben Straßenhunde aufgenommen hätten, sagte Frauke. Sie selbst habe zwei Mischlinge
und engagiere sich im Tierschutz. Da dachte sie sich, sie klingle mal kurz, um sich vorzustellen, sie sei gerade bei den Nachbarn
gewesen.
Ihr Mann arbeitete am deutschen Konsulat. Beim nächsten Empfang in ihrem Haus waren Teresa und Robert eingeladen.
Auf der Terrasse sprach eine junge Frau Teresa unverblümt von der Seite an. »Du bist doch die mit den sieben Hunden, oder?«
»Warum, riecht man das?«
So entstehen Freundschaften.
In Mönchengladbach und Lissabon hatten Teresa und Robert in ihrer eigenen Welt gelebt, umgeben nur von vereinzelten Bekannten. |149| Sie hatten es hingenommen im Glauben, das müsse wohl so sein als Profifußballer. Wie sollte er Freunde finden, fragte
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