Robert Enke
Jungen mit ernstem Blick und dichten
schwarzen Haaren, der aus dem B-Team aufrückte. »Robert war in der Form kühl, aber er hatte die Ausstrahlung eines guten Menschen«,
sagt Victor Valdés. Das erste Training begann. Roberts mageres Spanisch und Victors brüchiges Englisch gaben ihnen einen willkommenen
Vorwand, fast nichts zu sprechen. Der Trainer ließ ein lockeres Spiel entstehen, um zu sehen, in welchem Zustand die Profis
den Urlaub überstanden hatten. Mit dem Eifer eines Jungen, der zum ersten Mal in der Erstligamannschaft mitmachen darf, beobachtete
Valdés jede Bewegung Enkes. Er hoffte, etwas in dem Deutschen wiederzuerkennen.
Sechs Jahre zuvor, als Robert Enke in Mönchengladbach von Kamps das Fliegen lernte, hatte Bayern München im UEFA-Cup-Halbfinale |145| in Barcelona gespielt. Hinter Bayerns Tor stand ein 14-jähriger Balljunge, Torwart in der C-Jugend des FC Barcelona. Er hieß
Victor Valdés. Er sah, wie Oliver Kahn in wenigen Minuten einen Schuss von Kodro und einen Freistoß von Popescu mit gewaltigen
Sprüngen und Reflexen meisterte. Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, sagt Valdés. »Mir blieb der Mund offen stehen.
Boah!, dachte ich und wusste: Das ist mein Torwart. Kahn war von diesem Moment an mein Idol.«
Valdés sitzt im Pressezentrum der Sportstadt des FC Barcelona. Der Raum ist eine kuriose Kreuzung, ein Baucontainer mit zwei
Designersofas aus braunem Leder. Aus dem 14-jährigen Jungen ist ein Mann mit Pranken und breiten Armen geworden. Ein schwarzes
T-Shirt mit einem lebensgroßen Adler, der die Krallen zum Zugreifen ausgefahren hat, betont seine mächtige Erscheinung. »Weißt
du«, sagt Valdés, »seit jenem Tag, als ich Kahn sah, bewundere ich die deutsche Torwartschule. Deutsche Torhüter fallen nach
einer Parade viel schöner als wir Spanier.«
Nämlich?
Er setzt an, es mit Worten zu erklären. Dann steht er vom Ledersofa auf. »Wir Spanier fallen einfach wie ein Klops zu Boden,
bumm.« Victor Valdés legt sich auf den Boden des Presseraums. »Die Deutschen rollen sich ab.« Die dreifache Rolle macht er
nur noch mit beiden Händen, nicht mehr mit dem ganzen Körper nach.
Als Robert Enke 2002 nach Barcelona kam, distanzierte er sich innerlich schon vom altdeutschen Torwartmodell. Er hatte in
Lissabon gelernt, ein wenig offensiver und vor allem viel sachlicher zu spielen. Und nun bewunderte ihn Victor Valdés, der
Junge, der gerade aus dem B-Team kam, gerade für das Spektakuläre, das Robert Enke hinter sich lassen wollte.
»Robert rollte sich auch so ästhetisch ab.«
Das kann nicht sein, er achtete penibel darauf, keine Schau aus seinen Paraden zu machen.
»Doch, wirklich!« Victor Valdés strahlt vor Begeisterung. Er erinnert sich noch genau an das erste Training mit Robert Enke.
»Robert war unglaublich. Er legte drei, vier Wahnsinnsparaden hin. Ich hatte erst ein einziges Trainingsspiel gesehen, |146| und mir war bereits klar, über welch hohe Qualität er verfügte.«
In der Umkleidekabine, nach dem ersten Training, kam Mittelfeldspieler Gerard López auf Robert Enke zu.
» Man of the match, man of the match!
«, rief Gerard, und dann verließ ihn sein Englisch.
Roberto Bonano, der Konkurrent, Barças Nummer eins der vorherigen Saison, stieß im Trainingslager in der Schweiz zur Mannschaft.
Nun schaute Robert Enke, wie eben noch Victor Valdés geschaut hatte. Die meisten Fußballer sehen auf dem Sportplatz größer
aus als in Freizeitkleidung, Bonano war keine Ausnahme. Sein Brustkorb in Übergröße ließ ihn im Trainingspullover wachsen.
Allerdings hielt er nicht, was seine Erscheinung versprach. Es war schnell zu erkennen, dass er nicht in Form war.
Enttäuscht, dass ihn der Trainer bei der Weltmeisterschaft nur auf die Ersatzbank gesetzt hatte, verdrossen wegen Argentiniens
Scheitern in der Vorrunde, hatte Bonano in den Ferien nichts vom Sport wissen wollen. Nun zahlte er dafür.
In gut drei Wochen begann die Saison. Robert Enke hatte ein gutes Gefühl.
»Robert, du stehst zu weit hinten!«, rief der Torwarttrainer.
»Robert, den Ball musst du mit dem linken Fuß annehmen!«, schrie der Torwarttrainer.
»Robert, schon wieder ein unsauberer Pass. Konzentrier dich besser auf deine Füße!«, brüllte der Torwarttrainer.
Frans Hoek, die braunen Haare akkurat seitlich gescheitelt, teilte mit seinem Chef van Gaal den Umgangston und die Überzeugung,
dass ein Torwart der elfte Feldspieler sein musste.
Weitere Kostenlose Bücher