Robert Enke
Barcelona wäre auch möglich gewesen.«
Er fragte, ob ich ihm einen Spanischlehrer empfehlen könne. Am Abend, zurück in ihrem neuen Zuhause in Sant Cugat, hinter |142| den grünen Bergen des Collserola, würde er den Lehrer sofort anrufen. Nach der ersten Unterrichtsstunde schenkte er ihm spontan
Eintrittskarten für Barça.
»Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie finde ich zurzeit einfach alles toll. Die Stadt, den Verein, das Leben«, sagte
er im Straßencafé. Die fünfstöckigen Häuser standen wie ein Schutzwall um die kleine Plaza, kein Autolärm war zu hören. Das
bunte Sortiment der Eisdiele gegenüber spiegelte sich in der gläsernen Eingangstür. »Ich bin erst drei Wochen da, aber ich
habe schon das Gefühl: Hier möchte ich lange bleiben.«
Ein Obdachloser ging durch die Reihen der Cafégäste und bat um Geld. Er war der Erste, der Robert Enke an diesem Nachmittag
erkannte.
»Enke, el numero uno!«
Robert antwortete ihm auf Portugiesisch: »Sind Sie Benficista?« Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihn in Barcelona schon
jemand kannte.
Sag einen Satz auf Katalanisch, bat Barças Präsident Joan Gaspart Robert Enke vor dessen offizieller Präsentation. Trainer
van Gaal begleitete die beiden auf das Podium des Pressesaals. An den Wänden hingen kleine, dunkelbraun gerahmte Porträts
aller Nationalspieler, die Barça gedient hatten. Die Wände verschwanden unter all den Fotos. Van Gaal hatte das weiße, steife
Hemd unter seiner Krawatte geschlossen, was seinen riesigen Hals noch beeindruckender aussehen ließ. Robert Enke trug ein
kurzärmliges rotes Hemd und die Frisur frisch von einem jener Friseure gestutzt, die die Haare immer zu kurz schneiden. So
sah er neben van Gaal noch jünger aus.
Für seine Vorstellung in Lissabon hatte er sich einen portugiesischen Satz zusammengebastelt,
É bom estar aqui
, und es hatte ihm Freude bereitet. In Barcelona sprach er Englisch und sagte nur: »Ich werde Spanisch lernen, und vielleicht
gelingt es mir mit der Zeit auch, Katalanisch zu sprechen.« In Katalonien, wo die Politiker die Sprache als Waffe im Autonomiestreit
mit dem spanischen Zentralstaat benutzten, hätte es anbiedernd, durchschaubar und falsch geklungen, hätte er etwas auf Katalanisch
gesagt, |143| fand er; vor allem nachdem ihn der Präsident dazu aufgefordert hatte. Er wollte sich nicht vereinnahmen lassen.
2002, Robert mit dem damaligen Barça-Trainer Louis van Gaal. [14]
»Die drei Torhüter Enke, Bonano und Valdés beginnen bei null, auch wenn die beiden Erstgenannten größere Chancen haben«, sagte
van Gaal. »Doch alles kann sich ändern.« Seine Stimme dröhnte. »Denn bei mir hat niemand seinen Platz im Team sicher.«
Robert Enke war neu in Barcelona und hatte sich bereits daran gewöhnt, dass der Trainer einen schonungslosen Umgangston für
Ehrlichkeit hielt.
Louis van Gaal hatte vier Jahre zuvor bereits einmal eine Etappe bei Barça eingelegt, er gewann die Meisterschaft und den
Königspokal, er formte eine Mannschaft, die Freigeist und Organisation auf das Herrlichste miteinander verband, und |144| schaffte es dank seiner barschen Art, dass ihn viele Spieler und die meisten Zuschauer trotzdem fortwünschten.
Als er noch für Ajax Amsterdam arbeitete, hatte ich van Gaal einmal interviewt. Er watschelte in Badeschlappen durch den alten
Trainingskomplex von Ajax, alles an ihm war gigantisch, der Bauch, der Hals, der Kopf. »Guten Morgen, Herr van Gaal, ich habe
ein Interview mit Ihnen ausgemacht«, sagte ich. »Nein!«, brüllte van Gaal, »Sie haben ein Interview mit David Endt verabredet!«
Ajax’ Pressesprecher hatte das Gespräch arrangiert. Nachdem er dies grundsätzlich klargestellt hatte, bat Louis van Gaal höflich
in sein Büro. Zehn Tage später, am Morgen des Champions-League-Halbfinales gegen Bayern München, rief er mich in der Zeitungsredaktion
an. Er war wieder einmal sehr ehrlich und ein wenig gekränkt. Er habe die Reportage über Ajax gelesen, sagte er mir. »Sie
haben gar nicht viele Zitate von mir benutzt!«
Das Duell mit Roberto Bonano um den Platz im Tor bestritt Robert Enke zunächst ohne Gegner. Bonano war noch in den Ferien.
Als Argentiniens Ersatztorwart hatte er an der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea teilgenommen und durfte deswegen einige
Wochen später ins Vereinstraining einsteigen.
Frans Hoek, der Torwarttrainer, stellte Robert dem dritten Torwart vor, einem 20-jährigen
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