Robert Enke
Jugendtick;
wie besessen versuche er, seinen Ruf als Entdecker zu festigen, und favorisiere rücksichtslos junge Talente. Gerede, Geschwätz;
vergiss es, sagte sich Robert Enke. Aber es fiel schwer, nicht daran zu denken. Wie konnte es sein, dass Victor trotz seiner
Fehler im Tor blieb, wieso applaudierte das Publikum frenetisch jede selbstverständliche Parade, und er wurde immer nur von
den Trainern angeschrien,
van der Sar wäre rausgekommen!, spiel den Ball mit Innenrist wie van der Sar! ,
obwohl doch jeder im Training sehen musste, dass er mit den Händen besser war als Victor Valdés.
Die Hände! ,
nicht die Füße, das war doch das Wichtige.
Teresa nahm ihn mit zum Reitplatz. Dickens hatten sie das abgetakelte Anfängerpferd getauft, das Robert mehr aus Liebe zu
Teresa als zum Tier gekauft hatte. Vom Pferd hielt er sich lieber fern. Aber andere Reiter sprachen ihn an. Ihre Freundlichkeit
erfrischte ihn. Er sollte nicht immer an Fußball denken, sagte er sich, und dachte im nächsten Moment an Victor Valdés.
Nächste Woche, im Königspokal gegen einen Drittligisten, werde er einige Reservespieler einsetzen, sagte van Gaal. Seine Stimme
gehorchte ihm nicht. Vom vielen Schreien und Aufbrausen überdreht, behielt sie manchmal ihren aggressiven, bellenden Klang,
wenn der Trainer nur etwas sachlich vermitteln wollte. »Dort bekommst du deine Chance.« Für Robert Enke klang es wie eine
Drohung. Dort kannst du dann ja mal zeigen, ob du wirklich etwas kannst.
Ihr Gegner hieß FC Novelda, Tabellenletzter der Dritten Liga. Noveldas Sportplatz La Magdalena hat drei Eingänge, das grüne
Eisentor an der Hinterseite ist mit Graffiti beschmiert, »Revolution |152| Che!« und »Ana, du bist hübsch. Das sagt dir ein Junge«. Der FC Barcelona übernachtete in Elche in einem Hotel mit Palmengarten,
nach Novelda waren es 15 Kilometer durch eine Gegend, in der die Hässlichkeit billiger Lagerhäuser mit der Schönheit karger
Berge im Widerspruch steht und die besseren Restaurants außerhalb der Orte an den Fernstraßen liegen. Wie immer vor einem
Spiel rief er noch einmal Teresa an. Mechanisch spulten sie die Fragen und Antworten ab, wie geht es, wir waren spazieren,
jetzt trinken wir Kaffee, alles klar, okay, wir sehen uns heute Nacht. Er hatte ihr verboten, ihm Glück zu wünschen.
|153| NEUN
Novelda
Sie hatten die Sergeant-Navarro-Straße vor dem Sportplatz gesperrt. Toni Madrigal, schon den ganzen Nachmittag zu nervös,
um ein Buch zu lesen, ließ das Auto zu Hause und ging zu Fuß. Es waren nur zehn Minuten bis zum Sportplatz. Madrigal war früh
dran, er wollte vor dem Spiel noch einen Freund aus Valencia am Kassenhäuschen treffen.
Novelda, 27 000 Einwohner, man lebt nicht schlecht vom Marmor und der Weintraubenernte, ist wie eine Zwiebel, eine Stadt aus Schalen,
ganz innen der glänzende Kern mit dem Kasino und dem Rathaus aus Fürstenzeit, darum der Ring der Fünfzigerjahre-Wohnblocks,
schließlich die Außenschicht aus Lagerhallen und extragroßen Supermärkten. Madrigal, der aus Anlass des Tages zum Mittagessen
Nudel ohne Soße, nur mit Olivenöl gegessen hatte, ging am Rande der zweiten Schicht entlang, er trug den grünweißen Trainingsanzug.
Es waren mehr Leute als gewöhnlich auf den Straßen. Manche winkten ihm und reckten den Daumen in die Luft. Sie erkannten den
Trainingsanzug, nicht ihn.
Als er die Absperrung vor dem Sportplatz erreichte, hielt ihn der Wachdienst auf.
»Und du, was willst du?«, fragte der Wachmann.
»Ich bin der Mittelstürmer«, sagte Madrigal. »Ich spiele mit.« Sein Trainingsanzug überzeugte den Wachmann, ihn durchzulassen,
wo ansonsten nur Leute mit Eintrittskarten Durchlass fanden.
Instinktiv schaute Madrigal am Sportplatz zuerst nicht nach dem Freund aus Valencia, sondern nach
ihnen
. Sie waren noch nicht da.
|154| In knapp zwei Stunden würde der Schiedsrichter die Partie anpfeifen.
Robert Enke saß im Mannschaftsbus auf der Fahrt von Elche nach Novelda, 15 Kilometer, ein Polizeiauto mit Blaulicht räumte
ihnen den Weg frei, Roberto Bonano saß neben ihm. Zu Hause schrieb Bonano Gutenachtgeschichten für seine zwei Kinder, er las
Borges und Cortázar, seine Frau arbeitete als Psychologin, Robert Enke fühlte sich ihm instinktiv nahe. »Aber wir haben eigentlich
in der gesamten Saison nie etwas Persönliches geredet, obwohl wir uns vor Spielen oft das Hotelzimmer teilten«, sagt Bonano,
er sucht nach einer
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