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Roberts Schwester

Roberts Schwester

Titel: Roberts Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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die Augen zu öffnen und ihm zu antworten. Die Antwort war von Isabell gekommen, mit einem gehetzten, heiseren Zischen von der Tür aus.

    «Bist du verrückt? Willst du sie aufwecken?»
    Er hatte noch einmal gelacht, etwas lauter diesmal, etwas dunkler, und dabei hatte er sich von mir entfernt.

    «Keine Sorge. So schnell wacht sie nicht auf, nicht in dem Zustand. Von dem, was sie getankt hat, könnten wir beide eine ganze Woche feiern.»
    Dann schloss sich die Tür. Und ich hatte einmal kurz geblinzelt, hatte den ersten, fahlen Streifen Tageslicht am Fenster bemerkt und war gleich wieder weggesackt. Es musste zwischen vier und fünf gewesen sein. Und es tat weh, sich daran zu erinnern. In seiner Stimme war so viel Abfälligkeit gewesen, so viel Gleichgültigkeit. So hatte er sonst nie von mir gesprochen. Vielleicht hatte er es nur getan, weil sie dabei war und es so hören wollte. Vielleicht hatte er gedacht, mir ein wenig mehr Ruhe vor ihren Schikanen zu verschaffen, wenn er sich benahm, als sei er auf ihrer Seite. Und jetzt war er tot. Es war immer noch so abstrakt, in keiner Weise real. Sie sprachen immer noch von der Nacht. Warum verschwieg Isabell, dass Robert am frühen Morgen noch einmal bei mir gewesen war, zusammen mit ihr? Es konnte nur einen Grund geben. Die Erkenntnis kam so unvermittelt, dass sie mir den Atem abschnürte. Natürlich war Robert von dieser zweiten Fahrt zurückgekommen, und sie hatte ihm aufgelauert. Sie hatte gedacht, es sei eine einmalig günstige Gelegenheit, ein mysteriöser Termin mitten in der Nacht. Da konnte sie nicht seelenruhig zuschauen, dass er noch einmal nach mir sehen wollte. Sie folgte ihm, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, in welchem Zustand ich war. Deshalb die Panik in ihrer Stimme.

    «Willst du sie aufwecken?»
    Das durfte auf keinen Fall geschehen. Mia musste schlafen wie eine Tote, durfte nichts hören und nichts sehen. Aber Mia hörte ein bisschen. Ihre Stimmen und die Schritte auf der Treppe, die Schritte von beiden wohlgemerkt. Robert war zusammen mit ihr hinaufgegangen. Sie hatte ihn in seinem eigenen Schlafzimmer getötet! Es spielte keine Rolle, wo man ihn gefunden hatte. Isabell sah aus, als könne sie gerade mal ihr Handtäschchen und das Scheckbuch tragen, aber das täuschte. Eine Frau, die täglich mit einem vermutlich zwei Zentner schweren Klotz umging, schleifte auch einen Toten die Treppe hinunter, zerrte ihn zu seinem Wagen, fuhr ihn hinaus an eine einsame Stelle. Die Polizei musste sein Schlafzimmer auseinander nehmen und Roberts Körper auf entsprechende Verletzungen untersuchen lassen. Hautabschürfungen, Blutergüsse. Gab es noch Blutergüsse nach Eintritt des Todes? Egal. Ich wollte es diesem Wolbert erklären. Er lächelte mich an, irgendwie gütig und verständnisvoll. Und in meinem Kopf hämmerte es: Robert ist tot. Er ist tot! Da begriff ich endlich, warum sie hier saßen. Zwei Herren von der Polizei. Zwei Männer in Zivilkleidung. Zwei Beamte der Mordkommission. Wolbert und ein Milchgesicht, das den Eindruck machte, als vertrüge es kein Sonnenlicht und bekäme die Zähne nie auseinander. Isabell sprang auf und rannte zum Telefon in der Halle, als ich zu schreien begann. Ich rutschte aus dem Sessel auf die Knie, das fühlte ich noch. Ich schlug mit der Stirn auf den Fußboden, das fühlte ich auch. Und ich konnte nicht aufhören zu schreien, einfach nur laut und unartikuliert zu schreien. Mir wurde entsetzlich heiß. Und als ich mich wieder aufrichten wollte, kippte die Bücherwand mit all den dicken Wälzern nach rechts. Dann war es leer und dunkel. Robert war tot, und ich konnte ohne Robert nicht leben. Ich hatte auch erst angefangen zu leben, als er geboren wurde.

2. Kapitel
    Damals war ich sieben, und bis dahin war Leben für mich ein sinnloses Einerlei gewesen. Vater hatte sehr spät geheiratet, und Mutter war kränklich. In meiner Erinnerung ist sie ein fades, bleiches Etwas, das ich nie stören durfte, das unentwegt Ruhe brauchte. Es war jedes Mal eine Erholung, wenn Mutter für ein paar Monate in ein Sanatorium verschwand. War sie dann wieder daheim, durfte ich nicht laufen, nicht springen, nicht hüpfen, nicht rufen, nicht lachen, nicht weinen. Immer hieß es gleich:

    «Pst, Mia, nicht so laut, die Mama schläft.»
    Verschiedene Haushälterinnen wechselten sich damit ab, mir auf Vaters Anordnung das Leben zu verbieten. Keine feste Bezugsperson heißt das in der Psychologie. Als ich fünf war, zog Lucia zu uns ins Haus. Sie

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