Roberts Schwester
bringen zu lassen. Mit dir kann man doch nicht vernünftig reden.»
Nach solchen Auseinandersetzungen saß Robert bei mir, hielt meine Hand, strich über meine Wangen und bettelte förmlich:
«Sei nicht traurig, Mia. Du bist gar nicht schwierig, das meinen sie nur. Ich finde dich toll und ganz in Ordnung. Ich hab dich wirklich sehr lieb.»
Als ich zwanzig war, schlossen wir einen Kompromiss. Vater kaufte ein Anwesen in Spanien und verbrachte von da an einen Großteil seiner Zeit in dem milden Klima, wie er das ausdrückte. Natürlich begleitete Lucia ihn. Von vier Wochen im Monat waren sie höchstens noch eine daheim. In der restlichen Zeit waren wir uns selbst überlassen, Robert und ich. Er war dreizehn, ging zur Schule. Ich studierte an der Kunstakademie. Für den Haushalt hatte Vater Frau Schür eingestellt. Sie hatte damals sogar ein Zimmer im Haus und kümmerte sich um alles, machte uns jedoch in keiner Weise Vorschriften. Es war eine herrliche und unbeschwerte Zeit. Wenn ich am Nachmittag heimkam, war Robert oft noch mit Freunden unterwegs. Aber er kam pünktlich zum Abendessen. Danach saß er oft stundenlang reglos und mit unermesslicher Geduld auf einem Stuhl. Ich zeichnete ihn, fertigte Gipsmasken von seinem Gesicht, formte seinen Kopf und seinen Körper aus Ton. Und als ich endlich die für mich ideale Materie fand, schlug ich ihn aus Steinen und Marmorblöcken. Sitzend, liegend, stehend, Figuren von unterschiedlicher Größe. Mein Meisterwerk damals war eine Vogeltränke für den Garten. Ein vierzehnjähriger Junge in Lebensgröße hält in seinen ausgebreiteten Händen eine Landschaft mit Hügeln und einem kleinen See. Aus heutiger Sicht mag das kitschig anmuten, damals empfand ich es nicht so. Und ich kann auch heute noch stolz sagen:
«Das ist meine Arbeit.»
Einmal in der Woche gaben wir telefonisch unseren Bericht nach Spanien durch. Es geht uns gut, wir kommen wunderbar zurecht, es ist alles in bester Ordnung. So war es auch. So war es jahrelang. Nur konnte ich nie einem Menschen erklären, was Robert mir in dieser Zeit bedeutet hat, ohne damit gleich ein paar unsinnige Vorstellungen heraufzubeschwören. Als er siebzehn war, ging ich an einem Sonntagmorgen in sein Zimmer, um ihn zu wecken. Es war im August, das Fenster stand weit offen. Er lag auf dem Bett, hatte nachts in der Schwüle die Decke völlig zurückgeschlagen. Und er trug nicht einmal einen von diesen kleinen Slips. Ich hatte damals bereits etliche wilde Romanzen hinter mich gebracht und schon eine Unmenge nackter Körper gesehen, schöne und weniger schöne. Das gehörte zum Studium. Auch Roberts Körper war mir vertraut. Er hatte mir oft genug Modell gesessen, auch unbekleidet. Es war immer alles ganz normal und natürlich gewesen. Bruder und Schwester und keine absurden Gedanken. Absurde Gedanken hatte ich auch an dem Augustmorgen nicht. Wie er da schlafend auf dem Bett lag, war er nur die Verkörperung von Schönheit und Unschuld. Er war einfach vollkommen, ein junger Mensch mit straffen Formen, der mit sich selbst und seiner Umwelt in völliger Harmonie lebte und um sich herum eine Aura von Frieden verbreitete. Ich hätte niederknien mögen in diesem Moment. Es gab danach keinen Mann mehr, den ich nicht mit Robert verglichen hätte. Und es gab keinen, der neben ihm bestehen konnte. Als er mit zwanzig zum ersten Mal ein Mädchen ins Haus brachte, glaubte ich zu ersticken. Es war keine Eifersucht, auch wenn man mir das später einreden wollte. Sie war ein unbedeutendes junges Ding, zu schrill, zu bunt, zu oberflächlich, um ihn länger als ein paar Tage zu faszinieren. Nur wusste ich damals noch nicht, wie rasch er die Oberfläche durchschaute. Und ich hatte Angst, ich hatte panische Angst. Ich wollte, dass er glücklich wurde. Ich wollte, dass er von einer Frau bekam, was er selbst geben konnte. Und ich wusste, dass es keine gab, die ihm gerecht werden konnte, dass er sich sein Leben lang mit Mittelmäßigkeit begnügen musste. Nur dieses Wissen schnitt mir die Luft ab. Ich wurde krank, Asthmaanfälle, diffuse Beschwerden im Unterleib, und nirgendwo eine konkrete Ursache. Ich pilgerte von einem Arzt zum anderen, ehe ich endlich den richtigen für meine Art von Krankheit fand. Doktor Harald Piel, Facharzt für Neurologie und Psychotherapie. Piel fragte mich, ob ich mit Robert schlafen möchte. Ich sagte:
«Nein.»
Piel fragte mich immer wieder. Er fragte so lange, bis ich endlich ja sagte, damit er zu fragen aufhörte. Zwei
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