Roberts Schwester
hätte, könnte ich vielleicht darüber lachen. Auf das angewandt, was sich in der Ehe meines Bruders abspielte, ist der Ausdruck Liebe so falsch wie ein Zweikaräter an der Hand eines Penners. Isabell hat ihn nie geliebt, nicht eine Sekunde lang. Sie hat ihn benutzt, um aus dem Dreck herauszukommen und sich ihr Leben nach ihrem Geschmack einzurichten. Sie hatte ihm völlig den Kopf verdreht. Eingewickelt hatte sie ihn mit ihrem makellosen Puppengesicht, ihren Garde-maßen, ihrer Berufserfahrung, ihrer Jugend. Sie war erst vierundzwanzig, achtzehn Jahre jünger als ich, elf Jahre jünger als Robert. Zierlich war sie, fast wie ein Kind. Meine kleine Hexe nannte Robert sie zu Anfang, vielleicht wegen ihrer rötlichen Haare, vielleicht wegen ihrer Kunst, sich einen Mann gefügig zu machen. Ich weiß es nicht. Es spielt auch keine Rolle mehr. Roberts kleine Hexe hat es geschafft, nach nur vier Monaten Ehe Roberts Witwe zu werden. Ich erwachte an dem Freitagvormittag von ihrem Schrei. Ein durchdringendes
«Nein», etwa in der Art, von der man sagt, dass es einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Mir gefror es nicht. Ich hatte Isabell rasch durchschaut. Ein durchtriebenes Biest mit einem ausgeprägten Hang zur Theatralik war sie. Sie wusste vom ersten Tag an genau, an welchen Stellen sie mich treffen konnte. Deshalb vermutete ich nur, es sei wieder ein kostbares Stück zu Bruch gegangen. Eine der Gipsmasken, die ich vor langen Jahren von Roberts Gesicht angefertigt hatte, eine der Tonfiguren, die ihn noch als Knaben zeigten, oder ein anderes unersetzbares Teil, an dem ich hing. Ich rechnete fest damit, dass sie gleich zu mir hereingestürzt käme und sich stammelnd und stotternd entschuldigen würde:
«Mia, es tut mir so furchtbar Leid, mir ist aus Versehen …»
Sollte ich daraufhin heftig werden, war mir ein Tränenausbruch ebenso gewiss wie die Beteuerung, dass sie es wahrhaftig nicht mit Absicht zerbrochen hätte und bereit sei, den Schaden zu bezahlen. Und sollte ich sie darauf aufmerksam machen, dass der Schaden nicht zu bezahlen wäre und dass sie darüber hinaus nur mit unserem Geld bezahlen könnte, würde sie laut aufschluchzend mein Atelier wieder verlassen und im Hinausgehen vielleicht noch wissen wollen:
«Was habe ich dir eigentlich getan, dass du immer auf mir herumhackst?»
Derartige Szenen spielten sich regelmäßig ab, meist in Roberts Gegenwart, weil sie sonst ihren Zweck nicht erfüllten. Allerdings passierte es auch, wenn er nicht in der Nähe war, damit Isabell nicht aus der Übung kam. Robert war nicht in der Nähe, das wusste ich. Er hatte mir dienstags versprochen, an diesem Freitagmorgen meinen Wagen in die Werkstatt zu bringen. Auf ihn war hundertprozentig Verlass. Was er versprach, das hielt er auch, selbst dann, wenn er es nicht gerne tat. Meinen Wagen fuhr er höchst ungern. Und außer mir war er der Einzige, der ihn überhaupt fahren konnte. Das Auto war eine Sonderanfertigung. Maßgeschneidert für eine Frau, der nur ein Arm zur Verfügung stand, noch dazu der linke. Zahlreiche Bedienungselemente befanden sich im Fußraum. Auf den ersten Blick wirkte es befremdlich und schreckte ab. Aber es war nur eine Gewohnheitssache, damit umzugehen. Ich hatte mich rasch daran gewöhnt, Scheibenwischer, Scheinwerfer, Klimaanlage, Fensterheber, Heckscheiben-heizung und dergleichen mit dem linken Fuß zu bedienen. Nichts davon brauchte man unentwegt, und wenn man nicht, ständig damit herumfummelte, fuhr sich der Wagen wie jeder andere. Ich benutzte ihn normalerweise täglich. Dienstags war ich zuletzt damit in der Stadt gewesen. Als ich losfuhr, war mir der große Ölfleck auf dem Garagenboden nicht aufgefallen. Auf der Rückfahrt leuchtete dann die Ölkontrolle auf. Ich fuhr trotzdem auch noch das letzte Stück. Was hätte ich sonst tun sollen? Anhalten, die Motorhaube öffnen und den Ölstand kontrollieren? Das wäre eine mühselige Angelegenheit gewesen, die mir noch dazu keinen Meter weitergeholfen hätte. Robert tat es dann für mich, als ich daheim ankam.
«Da ist fast kein Tropfen mehr drin», sagte er mit einem Kopfschütteln.
«Wie du es geschafft hast, damit nach Hause zu kommen, ist mir unbegreiflich.»
Er erklärte mir, was alles hätte geschehen können. Sprach von einem reißenden Schmierfilm im Motorblock und festgefressenen Kolben. Ich hatte keine Ahnung von technischen Dingen, verstand nur die Hälfte, und es war ja nichts geschehen. Schließlich lachten wir beide. Ich
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