Robin bekommt eine Schwester
Morgen, mein lieber Schatz!“ ruft Mama durch die geschlossene Tür.
Robin und Papa gehen nach draußen. Sie gehen über die Straße. Mitten auf der Straße bleibt Robin stehen. Er schaut zurück zum Haus. Die Vorhänge sind zugezogen. Dann dreht er sich um und schaut zum Haus von Onkel Klaas und Tante Betty. Ihre Vorhänge sind aufgezogen. Onkel Klaas steht am Fenster. Er winkt.
Robin und Papa gehen rein.
„Na, Meister“, sagt Onkel Klaas, „geht es schon los?“
Papa ist Lehrer, früher sagte man Schulmeister. Das weiß jeder. Darum nennen ihn alle „Meister“. Nur Robin sagt „Papa“ zu Papa. Nur Robin... ? Ja, jetzt noch. Bald nicht mehr.
„Muß ich denn nicht in den Kindergarten?“ fragt Robin.
„Nein, heute nicht“, sagt Papa.
„Und du, mußt du nicht zur Schule?“ fragt Robin.
„Nein, heute nicht“, sagt Papa. „Ich habe angerufen.“
„Na“, sagt Onkel Klaas, „und ich muß auch nicht in die Schule. Schon dreißig Jahre nicht mehr. Das wird ein gemütlicher Tag.“
Er läuft zum Schrank und nimmt zwei kleine Gläser und eine große Flasche Korn heraus.
„Willst du auch einen Korn, Meister?“
„Bist du denn total übergeschnappt!“ sagt Papa.
„Ich muß sofort wieder nach Hause. Ich will dabeisein, wenn das Baby geboren wird.“
„Ich auch“, sagt Robin. „Ich will auch dabeisein.“
„Nein, das geht wirklich nicht, Robin“, sagt Papa.
Das dachte sich Robin schon.
„Früher“, sagt Onkel Klaas, „früher durften die Väter auch nicht dabeisein, wenn ein Kind geboren wurde. Und weißt du, was die Väter dann taten, Chef?“
Onkel Klaas nennt Robin jetzt immer „Chef“. Niemand weiß, warum. Chef Robin schüttelt den Kopf.
„Dann gingen die Väter bei ihrem Nachbarn gegenüber gemütlich einen Korn trinken“, sagt Onkel Klaas, „und dicke Zigarren rauchen. Das haben die Väter getan.“
Papa lacht.
„Wie furchtbar ungemütlich“, sagt Papa.
„Nein, es war richtig gemütlich“, sagt Onkel Klaas. „Willst du auch eine dicke Zigarre, Meister?“
„Nein, auch keine Zigarre“, sagt Papa.
„Wie schade aber auch“, sagt Onkel Klaas.
„Jetzt gehe ich aber wieder ganz schnell rüber“, sagt Papa.
Er gibt Robin noch einen Kuß und rennt zur Tür hinaus. Robin stellt sich ans Fenster. Papa rennt über die Straße. Robin winkt ihm zu. Papa dreht sich um und winkt zurück. Zum Glück. Dann geht er ins Haus.
„Hallo, Robin.“
Es ist Tante Betty. Sie nimmt die zwei kleinen Gläser und die große Flasche und stellt sie zurück in den Schrank.
„Schade“, sagt Onkel Klaas.
Er steckt sich eine Zigarre an.
„Das Baby bringt schönes Wetter mit“, sagt Tante Betty.
Das hat Papa auch schon gesagt, denkt Robin. Er schaut in die Luft. Der Himmel ist blau, und die Luft ist klar.
„Dann wird es bestimmt ein schönes Kind“, sagt Onkel Klaas.
An den kahlen Ästen der Bäume vor dem Haus hängen Regentropfen. Die Sonne scheint, und die Tropfen glitzern wie Augen. Tausend und abertausend fröhliche, kleine Augen.
Herbst
Robin steht am Fenster. Er sieht, wie die Sonne die Regentropfen glitzern läßt wie fröhliche Augen. Genau so fröhliche Augen wie die Augen von... Knor!!!
„Knor!“ ruft Robin. „Ich habe Knor vergessen!“ Er rennt zur Tür. Der Fußboden im Haus von Onkel Klaas und Tante Betty ist schräg. Es ist schwer, von der Tür zum Fenster zu laufen. Man muß schräg nach oben laufen. Aber vom Fenster zur Tür kann man furchtbar schnell laufen. Robin rast zur Tür.
Tante Betty hält ihn fest.
„Nicht nach Hause gehen, lieber Junge“, sagt sie. „Laß deine Mama mal in Ruhe.“
„Aber“, sagt Robin, „Knor möchte auch hier sein.
„Ich habe etwas anderes für dich“, sagt Tante Betty.
Sie geht die Treppe rauf und kommt mit einer Puppe wieder runter.
„Das ist eine alte Puppe“, sagt Tante Betty.
Das sieht Robin. Es ist eine sehr alte Puppe. Er kann es auch riechen.
„Mit dieser Puppe“, sagt Tante Betty, „habe ich selbst noch gespielt, als ich ein kleines Mädchen war. Das ist sehr lange her. Früher.“
Tante Betty sieht Robin an.
„Weißt du schon, was ,früher“ heißt?“ fragt sie.
„Ja, natürlich“, sagt Robin. „Früher haben Ritter gelebt, und früher haben Väter gegenüber noch ein Glas Korn getrunken.“
Darüber muß Onkel Klaas fürchterlich lachen. Er lacht so sehr, daß er husten muß. Der blaue Rauch seiner Zigarre kommt ihm aus Mund und Nase. Tante Betty schüttelt den Kopf.
„Was
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