Robina Krux
beendete sie den Unterricht, die anderen verließen den Raum.
Als Robina die Falle bemerkte, saß sie bereits drin. Er hatte plötzlich ihre Hände gefasst, ihr in die Augen gesehen und gesagt: „Robina, willst du nicht aufgeben?“ Im Ton lag die Bitte. Sie spürte, wie ihr das Blut zu Kopfe stieg, wie sich Widerstand regte, und in Sekundenschnelle wurde ihr klar, wie sehr sie diesen Menschen mochte und dass alles, was sie gegen seinen Einfluss mühevoll aufgebaut hatte, auf tönernen Füßen stand. Und was sie seinem Kuss entgegensetzen konnte, war dessen Erwiderung.
‘Ja – so hatte es begonnen.’
Robina streckte die Beine weit von sich, besann sich, dass das in diesen heiligen Hallen womöglich unschicklich sein könnte, und brachte sich in Haltung.
‘Eine glückliche Zeit…’
Auf einmal fiel Vaters Dickfelligkeit weniger auf die Nerven, Willfarts Anzüglichkeiten schrumpften zur Belanglosigkeit, Einsamkeit, das Sehnen nach etwas Unbestimmtem entschwanden wie Schiffe in ferne Galaxien. Boris’ anfangs unverständlicher Wunsch nach Zurückhaltung, ja Heimlichtuerei in der Öffentlichkeit – es ginge doch schlecht, ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, darunter litte bei aller Freizügigkeit die Autorität – gaben dem Ganzen eine eigentümliche Note.
Robina schöpfte Kraft aus dieser Beziehung zu Boris, glaubte, dass die Ausgeglichenheit, die sie nun verspürte, dazu beitrug, die Felder noch rascher zur Räson zu bringen. Sie bestand darauf, dass heiße Versuche gefahren wurden. Und als dem stattgegeben wurde, kam sie sich – wenn sie die Felder einregelte, von denen jedes eine solche Menge Antimaterie hielt, wie nötig gewesen wäre, um das Labor zu pulverisieren – vor wie ein schachspielender Großmeister, der souverän gegen eine Gruppe von Anfängern simultan spielt.
‘Ja, damals war ich in Hochform, es muss auch jemand auf mich aufmerksam geworden sein, wie wäre es sonst zu dem Vorschlag gekommen, mich Küken für die REAKTOM vorzusehen.’
Robinas Gedanken kehrten zum Dom zurück. Das Hallenschiff hatte sich geleert. Es ging auf Mittag zu. Touristen haben einen geregelten Tag.
‘Absurder Gedanke, das mit der REAKTOM! Das alles’– Robina sah um sich, dachte an den sonnenüberströmten Platz draußen –‘für lange zwölf Jahre gegen einen, zugegeben, gut eingerichteten Blechkasten zu vertauschen, statt der gemalten Sterne echte, Milliarden, grellleuchtend sollen sie sein, aber nichts als Schwärze ringsum… Gefährten, die ich nicht kenne, mit denen ich mich vielleicht nicht verstehe. Und nur, weil ich in der Lage sein soll, mit heißen Haltefeldern so umzugehen wie Kinder mit einem Hampelmann. So jedenfalls hatte sich Donas ausgedrückt.’
Langsam stand Robina auf und ging zum Ausgang. Die offene Tür gab den Blick auf den Vorplatz frei. Es fiel ein mittlerer Regen. ‘Ulkige Einrichtung’, dachte Robina; ‘Mittags lassen sie es regnen.’ Dann erinnerte sie sich der blendenden Sonne, die während der Fahrt ins Abteil geschienen und dort, wo ihre Strahlen hintrafen, trotz der Klimatisierung ordentlich aufgeheizt hatte. Sie empfand Frische und Regenduft angenehm.
Tauben- und menschenleer lag der Platz.
„Ein heißer Tag heute.“ Die Stimme neben Robina klang krächzig.
Robina wandte sich seitwärts. Ein alter, scheinbar eingetrockneter Mann stand schräg hinter ihr und betrachtete sie aus wässrigen Augen. Er stand gebeugt, hatte dünnes, schlohweißes Haar, und nur Haut umspannte die Schädelknochen. Er mochte 120 Jahre alt sein, schätzte Robina.
Sie nickte. Dann erschien ihr das wenig höflich gegenüber dem Alten, und sie sagte: „Aber hier drin ist es schön kühl, wahrscheinlich doch immer.“
„Ja“, der Alte nickte bedächtig. „Kühl und groß“, krächzte er. „Größe braucht Kühle. Komm!“ Er stand gebeugt und wies, Robina von unten her anblickend, zurück in das Mittelschiff.
Robina warf einen Blick nach draußen. Soeben ergriff die Nässe vollends Besitz von den Plastplatten, also, einige Minuten würde der Regen noch dauern, wenn er einen Sinn haben sollte. Zögernd ging sie mit. Hinten im Dom saßen vereinzelt einige Leute.
Der Alte lief mit Trippelschrittchen vor Robina her, den Mittelgang zwischen den Bankreihen entlang, machte gegenüber dem Altar an einer großen dunklen Kaste halt, deren Zweck Robina im Dämmerlicht zunächst nicht begriff.
Er schlug einen Deckel zurück. Eine Tastatur, das Ganze eine Orgel.
Der Alte nickte Robina zu,
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