Robinson Crusoe
Schlupfwinkel aufgespürt hatte, in folgender Weise auf: Ich hatte die Beobachtung gemacht, daß sie, wenn sie mich in den Tälern erblickten, in schrecklicher Angst davonsprangen, selbst wenn sie oben auf den Felsen waren; ästen sie aber in den Tälern und war ich oben auf den Felsen, so beachteten sie mich nicht, woraus ich schloß, daß infolge des Baues ihrer Augen ihr Gesicht so nach unten gerichtet war, daß sie Dinge, die über ihnen waren, nur schwer wahrnehmen konnten. Ich kletterte demnach immer zuvor auf den Felsen, um über sie zu kommen, und hatte dann häufig gute Beute. Beim ersten Schuß tötete ich zu meinem Leidwesen eine Geiß, die ein Junges bei sich hatte, das sie säugte. Aber als die Alte fiel, blieb das Kitz stockstill daneben stehen, bis ich kam und die Beute aufnahm; ja, als ich sie auf meinen Schultern davontrug, trabte das Kitz hinter mir drein bis zu meinem Zaun, worauf ich die Geiß niederlegte und das Kitz in meine Arme nahm und über das Pfahlwerk hinübertrug, in der Hoffnung, es mir zahm aufzuziehen; aber es wollte nicht fressen, und so war ich gezwungen, es selbst aufzuessen. Diese beiden versorgten mich für eine Weile mit Fleisch; denn ich aß sparsam und schonte meine Vorräte (besonders mein Brot) soviel wie möglich.
Nachdem ich so meine Wohnung eingerichtet, schien mir das Wichtigste, für einen Feuerplatz und Brennholz zu sorgen; wie ich das anfing und wie ich auch meinen Keller erweiterte und sonst noch allerhand Annehmlichkeiten mir schuf, davon will ich an seinem Ort ausführlich reden. Zunächst aber muß ich ein wenig von mir selber sprechen und was ich mir für Gedanken über mein Leben machte; es waren ihrer, wie man sich denken kann, nicht wenige.
Meine Aussichten waren düster; denn angesichts dessen, daß ich auf dieses Eiland verschlagen worden war, indem, wie geschildert, ein heftiger Sturm mich völlig aus dem Kurs unserer beabsichtigten Reise geworfen hatte, Hunderte von Meilen weit von den übrigen Verkehrswegen der Menschheit, so hatte ich allen Grund, anzunehmen, der Himmel habe beschlossen, daß ich an diesem verlassenen Ort und in diesem verlassenen Zustand mein Leben endigen solle. Wenn ich daran dachte, liefen mir die heißen Tränen übers Gesicht, und zuweilen haderte ich mit mir selbst darüber, warum denn die Vorsehung ihre Geschöpfe so ganz verderbe und ins Elend stoße, so völlig hilflos, so tiefgebeugt, daß es kaum noch einen Sinn haben kann, ihr für so ein Leben zu danken.
Immer jedoch regte sich sogleich etwas in mir, das diesen Gedanken Einhalt gebot und mich zurechtwies; und besonders eines Tages, als ich, mit meinem Gewehr in der Hand und in Gedanken über meine Lage versunken, am Meere hinging, schalt mich meine Vernunft und hielt mir die Dinge von einer anderen Seite vor. «Gut», sagte sie, «es ist wahr, du bist verlassen; aber denke bitte einmal daran, wo deine Gefährten sind! Stiegen euer nicht elf ins Boot? Wo sind die zehn? Warum wurden sie nicht gerettet und du ertrankst? Warum wurdest du ausgesondert? Ist es besser, hier zu sein oder dort?» - Und dabei deutete ich auf die See. Bei allen Übeln muß man auch das Gute bedenken, das sie an sich haben, und das noch Schlimmere, das hätte kommen können. Und weiter dachte ich, wie gut ich mit allem Nötigen versorgt sei und wie es wohl um mich stünde, wenn es nicht so gekommen wäre (wofür die Chancen hunderttausend zu eins standen), daß das Schiff von der Stelle, wo es zuerst festsaß, weggeschwemmt und so nahe an die Küste herangetrieben wurde, daß ich Zeit hatte, mir all diese Dinge herauszuholen, und wenn ich in dem Zustand hätte weiterleben müssen, in dem ich zuerst an Land kam, ohne alle Lebensnotdurft und ohne Mittel, sie mir zu verschaffen. - «Besonders», so sagte ich laut zu mir selber, «was hätte ich getan ohne eine Büchse, ohne Munition, ohne Werkzeug, ohne Kleider, Bett, Zelt oder sonst eine Bedachung?» An alledem hatte ich nun reichlichen Vorrat und konnte zuversichtlich hoffen, mich so zu versorgen, daß ich auch ohne meine Büchse leben könnte, wenn einmal meine Munition verschossen wäre. Denn ich dachte von Anfang an daran, mich gegen alle nur möglichen Zufälle und für alle Zukunft zu verwahren, nicht allein für den Fall, daß mir die Munition ausginge, sondern auch für den Fall von Krankheit und Schwäche.
Nur an das eine hatte ich, wie ich gestehen muß, nicht gedacht, daß meine Munition auf einen Schlag vernichtet werden könnte, ich
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