Robinson Crusoe
Mühlbach. Mein Boot wurde mit so großer Gewalt fortgerissen, daß ich es nicht wieder herausbringen konnte und immer weiter und weiter von dem Gegenstrom zu meiner Linken weggetrieben wurde. Es kam kein Wind auf, der mir hätte helfen können, und auch mein Ruder half mir nichts. Jetzt hielt ich mich für verloren; denn da von der anderen Seite der Insel her eine ebensolche Strömung kam, so war mir klar, daß sie sich einige Seemeilen weiter mit der ändern vereinigen mußte, und dann war ich rettungslos verloren, weil ich keine Möglichkeit sah, sie zu vermeiden. Ich sah also meinen Untergang vor Augen, nicht durch die See, denn sie war ruhig, aber durch den Hunger. Ich halte an der Küste eine Schildkröte gefunden, so groß. daß ich sie kaum heben konnte, und hatte sie ins Boot geworfen; auch hatte ich ein großes Gefäß, will sagen einen meiner irdenen Töpfe voll frischen Wassers; aber was half mir das alles, wenn ich in den unendlichen Ozean hinausgetrieben wurde, wo sicherlich tausend Meilen weit weder Küste noch Festland noch Insel zu finden war? Und nun sah ich ein, wie leicht es dem Allmächtigen ist, einen Menschen aus einem elenden Zustand in einen noch schlimmeren zu stoßen. Jetzt blickte ich auf meine einsame, verlassene Insel wie auf den lieblichsten Ort der Welt zurück, und alles Glück, das mein Herz sich wünschen konnte, schien dort zu liegen. Ich streckte meine Hände danach aus mit der innigsten Sehnsucht. «O glückliches Eiland!» rief ich, «ich werde dich niemals wiedersehen! O ich Unglücksgeschöpf!» rief ich, «wohin werde ich geraten?» Dann warf ich mir selber meine Undankbarkeit vor und daß ich so über meine Einsamkeit gemurrt hatte, während ich doch jetzt wer weiß was darum gegeben hätte, wieder dort an Land zu sein. So kommt uns die wahre Beschaffenheit unserer Lage immer erst durch ihr Gegenteil zu Bewußtsein, und wir schätzen das, was wir haben, immer erst dann, wenn wir es nicht mehr haben. Es ist kaum möglich, die Verzweiflung zu beschreiben, in der ich war, da ich nun von meiner geliebten Insel, denn so erschien sie mir jetzt, schon fast sechs Seemeilen weit in das wilde Weltmeer hinaus verschlagen war. außer mir vor Angst, sie nie wieder zu erreichen. Ich ruderte verzweifelt, bis meine Kräfte erschöpft waren, und hielt das Boot, so gut ich konnte, nach Norden, so daß es möglichst am Rande der Strömung blieb. Um Mittag, als die Sonne im Süden stand, glaubte ich ein Lüftchen im Gesicht zu fühlen, das aus Südost kam. Das machte mir wieder ein wenig Mut, besonders als nach einer halben Stunde mehr Wind aufkam. Inzwischen war ich erschreckend weit von der Insel abgetrieben, und wäre die geringste Bewölkung oder Nebel aufgekommen, ich noch aus einer anderen Ursache verloren gewesen; denn ich hatte keinen Kompaß an Bord und hätte niemals den Weg zur Insel zurückgefunden, wenn ich sie einmal aus Sicht verloren hätte. Aber da das Wetter klar blieb, setzte ich meinen Mast wieder auf, zog mein Segel hoch und hielt immer so weit wie möglich nach Norden, um aus der Strömung herauszukommen. Als ich eben Mast und Segel in Ordnung und das Boot in Fahrt hatte, sah ich an der Klarheit des Wassers, daß eine Veränderung der Strömung nahe war; denn wo sie stark war, war das Wasser trüb. Das klare Wasser war also ein Zeichen, daß die Strömung nachließ; und wirklich gewahrte ich gleich darauf, daß die See sich ungefähr eine halbe Meile ostwärts an einigen Klippen brach. Diese Klippen zwangen die Strömung, sich wiederum zu teilen; der Hauptstrom lief mehr nach Süden, die Felsen nordöstlich lassend, und der andere machte vor den Klippen kehrt und wurde zu einem starken Gegenstrom, der wiederum mit großer Gewalt zurück nach Nordwesten floß.
Wer einmal auf der Galgenleiter gestanden hat und noch im letzten Augenblick begnadigt worden ist oder aus Mörderhänden gerettet wurde gerade in dem Augenblick, wo er sterben sollte, wird ungefähr sich vorstellen können, wie mir die jähe Freude in die Glieder fuhr und wie beglückt ich mein Schiff in den Gegenstrom einlenkte und mein Segel in den immer mehr auffrischenden Wind drehte und so mit Wind und starker Flut lustig wieder ins Leben zurückfuhr. Dieser Gegenstrom brachte mich der Insel wieder um drei Seemeilen näher, jedoch bei sechs Seemeilen mehr nordwärts als die Strömung, die mich zuerst fortgerissen hatte, so daß ich mich jetzt der nördlichen Seite der Insel näherte, gerade gegenüber
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