Robinson Crusoe
lange Reihe von Wundern, und daß ich kaum einen Ort an diesem unwirtlichen Teil der Welt hätte nennen können, der einem Schiffbrüchigen mehr Vorteile zu bieten vermocht hätte: einen Ort, wo ich zwar zu meinem Kummer keine Menschenseele hatte, mit der ich umgehen konnte, wo ich aber weder reißende Tiere, wütende Wölfe oder Tiger fand, die mein Leben bedrohten, noch giftige Kreaturen, durch deren Genuß ich meine Gesundheit geschädigt hätte, noch auch Wilde, die mich ermordet und aufgefressen hätten.
Mit einem Wort: wie mein Leben in einer Art ein kummervolles war, so war es andererseits ein gnadenreiches, und um es zu einem glücklichen zu machen, brauchte ich mir nur die Güte und Fürsorge Gottes für mich als täglichen Trost vor Augen zu halten. Und nachdem ich das alles recht bedacht und mich darin bestärkt hatte, ging ich hin und war nicht länger traurig.
Ich war nun so lange hier, daß viele der Dinge, die ich an Land geschafft hatte, entweder ganz ausgegangen oder doch sehr abgenutzt waren. Schon seit einiger Zeit hatte ich keine Tinte mehr, nur einen kleinen Rest, den ich nach und nach immer wieder mit Wasser verdünnte, bis er so blaß war, daß er kaum mehr einen schwarzen Schimmer auf dem Papier zurückließ. Solange sie vorhielt, benutzte ich sie dazu, diejenigen Monatstage meines bisherigen Lebens zu notieren, an denen mir irgend etwas Bemerkenswertes widerfahren war. Ich erinnere mich, daß sich dabei eine merkwürdige Übereinstimmung der Tage herausstellte, an denen mich die verschiedenen Schicksalsfügungen betroffen hatten, und wäre ich abergläubisch gewesen und geneigt, gewisse Tage als Glücks- oder Unglückstage zu betrachten, so hätte ich allen Grund gehabt, darin eine Bestätigung zu sehen.
Erstens fand ich, daß ich an dem gleichen Tage, an dem ich Vater und Freunde verlassen hatte und nach Hull davongelaufen war, um zur See zu gehen, hernach von dem Salli-Kriegsschiff aufgegriffen und zum Sklaven gemacht wurde.
An dem gleichen Jahrestag, an dem ich aus dem Schiffbruch vor Yarmouth entkam, bewerkstelligte ich hernach meine Flucht aus Salli in dem Boot.
An dem gleichen Jahrestag, an dem ich geboren wurde, dem 30. September, wurde mir sechsundzwanzig Jahre später auf so wunderbare Weise das Leben gerettet, als ich an den Strand dieser Insel geworfen wurde, so daß mein gottloses Leben und mein einsames Leben beide am gleichen Tage begannen.
Nächst der Tinte ging mein Brot zu Ende, ich meine, der Zwieback, den ich aus dem Schiff geborgen hatte. Ich war äußerst sparsam damit umgegangen; über ein Jahr lang gönnte ich mir täglich nur einen Zwieback, und trotzdem war ich jetzt fast ein Jahr ganz ohne Brot, bis ich mein eigenes Korn erntete, wofür ich allen Grund hatte, dankbar zu sein, da die Art, wie ich dazukam, an ein Wunder grenzte, wie ich bereits erzählt habe.
Meine Kleidung begann auch bedenklich zu verfallen; Leinwand hatte ich schon längst nicht mehr, außer einigen buntgewürfelten Hemden, die ich in den Kisten der Matrosen gefunden hatte und die ich sorgfältig verwahrte. Da ich zu manchen Zeiten des Jahres nichts als ein Hemd leiden konnte, war es mir eine große Hilfe, daß ich unter den Kleidern der Mannschaft fast drei Dutzend Hemden gefunden hatte. Ich besaß noch einige dicke MatrosenWachtmäntel; aber sie waren zu heiß zum Tragen. Ich hätte eigentlich gar keiner Kleider bedurft; aber obgleich es mir angenehm gewesen wäre, ganz nackt zu gehen, konnte ich mich doch nicht an den Gedanken gewöhnen, wenn ich auch ganz allein war.
Ein anderer Grund, warum ich nicht ganz nackt ging, war, daß ich dann die Hitze der Sonne nicht so gut vertragen konnte, als wenn ich bekleidet war. Die Hitze verbrannte oft meine Haut, hingegen im Hemd kühlte mich die Luft ein wenig, die darunter blies. In der heißen Zeit ging ich auch nie mehr ohne Kappe oder Hut aus; denn ich würde sofort Kopfschmerzen bekommen haben, wenn ich die gewaltige Sonnenglut auf meinen bloßen Kopf hätte scheinen lassen, wogegen ich mit einem Hut nach Herzenslust herumlaufen konnte.
Also war ich darauf bedacht, die wenigen Lumpen, die ich hatte und die ich Kleider nannte, zusammenzusuchen und zu ordnen. Ich hatte alle Hemden vertragen, und jetzt versuchte ich, ob ich nicht aus den großen Wachtmänteln ein paar Jacken zusammenflicken könnte. So begab ich mich ans Schneidern oder vielmehr Pfuschen; denn es wurde ein klägliches Machwerk. Ich brachte zwei oder drei Jacken zustande, die schon eine
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