Robocalypse: Roman (German Edition)
erzählen, was passiert ist. Ich kann es selbst noch nicht glauben.
Gestern Nacht haben wir einen Mann verloren.
Ich wusste gleich, dass etwas nicht stimmt, als der Bohrer plötzlich nicht mehr sein regelmäßiges Brummen von sich gab. Obwohl ich tief und fest schlief, bin ich sofort aufgewacht. Wenn der Bohrer nicht mehr brummt, dann hört auch die Kasse auf zu klingeln, deswegen bin ich da wohl so empfindlich und spitze sofort die Ohren. Während ich aufrecht in meiner Koje saß und in die Dunkelheit starrte, verwandelte sich das Brummen von einem tiefen Grollen, das man ganz unten in der Magengrube spürt, in ein hohes Quietschen – genauso unangenehm, als würde jemand mit den Fingernägeln über eine Tafel kratzen.
Ich legte meine Schutzausrüstung an und stieg schnell die Treppe zur Arbeitsbühne hoch.
Oje. Folgendes war passiert: Der Bohrstrang war auf eine Schicht aus massivem Glas und Stücken alter Verrohrung getroffen – du weißt schon, mit der das Bohrloch gestützt wird. Keine Ahnung, was das Zeug da unten macht, aber der Bohrkopf ist drin stecken geblieben. Er kam recht schnell wieder frei, musste aber ausgewechselt werden. Zeit ist Geld in unserem Metier, und so ging der alte Ricky Booth, der es eigentlich besser wissen müsste, die Sache wohl etwas zu hastig an.
Man muss den Stier beherzt bei den Hörnern packen, weißt du. Er hat die Bohrwelle aber nicht zu fassen gekriegt, und so baumelte sie wild durch die Gegend und schleuderte Schlamm und zertrümmertes Glas über die ganze Arbeitsbühne. Ricky hat versucht, eine Kette um die Welle zu werfen und sie damit festzuhalten. Er hätte lieber probieren sollen, sie vorsichtig mit einer Stange zurück ins Bohrloch zu bugsieren, statt so eine Cowboynummer abzuziehen. Aber da hat jeder seine eigenen Methoden. Er kannte sich aus und hat sich für die schnellere Variante entschieden. Ich wünschte, es wäre anders gewesen.
Leider hat sich die Bohrwelle nämlich immer noch recht schnell gedreht. Die Kette hat sich darin verfangen, und Ricky hatte sie sich um seine verdammten Handgelenke gelegt. Willy konnte den Motor nicht schnell genug anhalten, und, nun ja, Ricky hat’s beide Hände abgerissen. Der arme Kerl ist rückwärtsgestolpert, stumm vor Schreck. Bevor ihn jemand festhalten konnte, fiel er in Ohnmacht und stürzte von der Arbeitsbühne. Auf dem Weg nach unten donnerte er irgendwo mit dem Schädel dagegen, und dann lag er reglos auf dem Eissockel.
Schreckliche Sache, Lucy, wirklich schrecklich. Bricht mir das Herz, wenn so was passiert. Aber passieren tut’s nun mal, und damals in den Ölsanden in Alberta hatte ich ja mit einer ähnlichen Situation zu tun, wenn du dich erinnerst. Man darf sich das Ganze nicht zu sehr zu Herzen nehmen und muss versuchen, schnell zur Normalität zurückzukehren. Sonst lässt man den armen Kerl aus übertriebenem Anstand erst mal da liegen und muss ihn am nächsten Morgen mit ’ner Brechstange vom Permafrostboden hebeln.
Tut mir leid, das ist furchtbar. Ich bin immer noch ganz durcheinander, Lucy. Bitte vergib mir.
Aber nun ja, es ging eben nicht anders – einfach nur betroffen dastehen bringt niemandem was. Also habe ich die Männer wieder auf ihre Posten gejagt und mit Jean Felix zusammen die Leiche in den Lagerschuppen geschleift und in Folie gewickelt. Die Hände haben wir Ricky auf die Brust gelegt und ebenfalls mit eingepackt.
Der Anblick hätte die Leute nur verrückt gemacht und ihre Arbeitsmoral untergraben. Mein Motto lautet: Sei immer auf das Schlimmste gefasst, aber wenn’s eintritt, komm schnell wieder auf die Beine. Ich hab einen Hilfsarbeiter namens Juan zum Bohrarbeiter befördert, die Leute wenigstens noch den Bohrkopf auswechseln lassen und dann die Schicht vier Stunden früher als vorgesehen beendet.
Mr. Black hat anscheinend nichts Besseres zu tun, als die ganze Zeit die Logdatei zu überwachen, denn er hat direkt angerufen. Sagte mir, wenn um sechs Uhr die erste Schicht anfängt, müssten wir den Bohrer wieder in Betrieb nehmen. Ich habe geantwortet, das könne er vergessen, aber da wurde der Knabe geradezu hysterisch. Hat damit gedroht, uns das ganze Projekt wegzunehmen. Ich kann da nicht nur an mich selbst denken, Lucy. Es sind ja eine Menge Leute von mir abhängig.
Also werden wir die Anlage in ein paar Stunden wohl oder übel wieder anwerfen. Bis dahin werde ich am Funkgerät sitzen, mit den Norwegern reden und einen Hubschrauber anfordern, der den armen Ricky hier
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