Robocalypse: Roman (German Edition)
Käfig im Boden zu verankern.
Vorsichtig lasse ich meinen Blick schweifen. Das mobile Wachgeschütz ist nirgends zu sehen. Leise dringt das rasenmäherartige Geräusch einer tieffliegenden Drohne zu uns rüber. Flapp, flapp, flapp. Klingt in meinen Ohren wie die Sense des großen Schnitters persönlich. Irgendwo da draußen scannt das Wachgeschütz eine Grabreihe nach der anderen und hält Ausschau nach menschlichen Silhouetten und den winzigsten Bewegungen.
Zentimeterweise krieche ich zu dem offenen Grab hinüber. Jabar liegt bereits drin, der Schatten des Käfiggitters zeichnet ein dunkles Muster auf sein Gesicht. Mit der Linken presse ich meinen verletzten Arm an den Körper und rolle mich zu ihm in die Grube.
Als hätten wir damit alles hinter uns, liegen Jabar und ich nebeneinander in der gefrorenen afghanischen Erde und warten darauf, dass die Wachroboter endlich ihre Suche beenden. Der kiesige Boden der Grube ist so hart und kalt, dass ich nach kurzer Zeit spüre, wie die Wärme meinen Körper verlässt.
»Mach dir keine Sorgen, Jabar«, flüstere ich. »Die Drohnen ziehen nur ihr Standardprogramm ab. Sie scannen die Gegend und suchen nach Flüchtigen. Das Ganze sollte nicht länger als zwanzig Minuten dauern.«
Jabar sieht mich mit gerunzelter Stirn an.
»Ja, ich weiß. Ich mache das nicht zum ersten Mal.«
»Ah, natürlich. Sorry.«
Wir rücken mit klappernden Zähnen näher aneinander.
»Hey«, sagt Jabar.
»Ja?«
»Bist du wirklich ein amerikanischer Soldat?«
»Natürlich. Was hätte ich sonst in dem Lager dahinten gemacht?«
»Ich habe noch nie einen gesehen. Also … in Fleisch und Blut.«
»Wirklich nicht?«
Jabar zuckt mit den Achseln.
»Wir kriegen immer nur die aus Metall zu sehen«, erwidert er. »Als die Avtomaten auf euch losgegangen sind, haben wir mitgemacht. Jetzt sind meine Freunde tot. Und deine wohl auch.«
»Wo können wir hin, Jabar?«
»Zu den Höhlen. Zu meinem Volk.«
»Ist es dort sicher?«
»Für mich schon. Für dich nicht.«
Mir fällt auf, dass Jabar immer noch den Finger am Abzug der Pistole hat, die auf seiner Brust ruht. Er ist jung, aber ich darf nicht vergessen, wie lange er schon auf diese Weise lebt.
»Das heißt, ich bin dein Gefangener?«, frage ich.
»Ja, würde ich sagen.«
Durch den Käfig über uns kann ich schwarzen Rauch sehen, der von der Grünen Zone in den leeren blauen Himmel aufsteigt. Außer den zwei Männern mit dem Raketenwerfer habe ich seit Beginn des Angriffs keine weiteren amerikanischen Soldaten mehr gesehen, jedenfalls keine, die noch am Leben waren. Ich muss an all die Panzer und Drohnen denken, die dort draußen nach Überlebenden suchen.
Jabars Arm fühlt sich wärmer an als meiner, und mir fällt ein, dass ich weder angemessene Kleidung noch Nahrung noch irgendeine Waffe bei mir habe. Wenn es nach der amerikanischen Armee ging, dürfte ich vermutlich nicht einmal eine Waffe bei mir haben.
»Jabar, alter Knabe«, sage ich. »Ich glaube, damit kann ich leben.«
Jabar und Paul Blanton schafften es, sich in die rauhen Berge Afghanistans durchzuschlagen. Laut Archiv wurden von dort bereits in der folgenden Woche die ersten siegreichen Angriffe auf die Roboterfront gestartet. Die Verschmelzung der durch zahlreiche Kämpfe hart erarbeiteten Überlebenstechniken der Stammeskrieger mit dem technischen Wissen von Specialist Paul Blanton machten den erfolgreichen Gegenschlag möglich.
In den kommenden zwei Jahren sollte Paul diese Kombination aus traditionellen Kampfstrategien und technischem Know-how zu einer Entdeckung verhelfen, die sowohl mein Leben und das meiner Kameraden als auch jenes von Pauls eigenem Vater, Lonnie Wayne Blanton, für immer verändern würde.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
VII.
Memento Mori
»Komischer Name für ein Boot.
Was bedeutet er?«
Arrtrad
Stunde null
Nach den verstörenden Erlebnissen mit seinem Handy floh der unter dem Namen Lurker agierende Hacker aus der Wohnung seiner Mutter und suchte sich eine sichere Zuflucht. Diese Schilderung des Eintritts der Stunde null schöpft aus Gesprächsmitschnitten, die an Bord des schwimmenden Verstecks angefertigt wurden, das Lurker in den ersten Jahren des Neuen Krieges als Operationsbasis diente.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
L urker, willst du da nicht rangehen?«
Ich sehe angewidert zu Arrtrad rüber. Schaut ihn euch an: Ein fünfunddreißig Jahre alter Mann, der keine Ahnung von gar nichts hat. Die Welt geht unter. Der Tag des Jüngsten Gerichts ist da.
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