Robocalypse: Roman (German Edition)
jedoch weiter im Leerlauf und gebe kein Gas. Noch nicht.
Vierzig Meter.
Ich könnte vom Boot springen. Aber wo soll ich hin? Hier habe ich meine Lebensmittel. Meinen Wasservorrat. Meinen Dummbeutel.
Dreißig Meter.
Das ist das Ende der Welt, Kumpel.
Zwanzig Meter.
Zum Teufel damit. Leinen los oder nicht – ich ziehe den Gashebel nach hinten, und wir machen einen Satz rückwärts. Arrtrad ruft irgendwas Unverständliches. Mit einem leisem Klack fällt ein weiterer Bleistift zu Boden, gefolgt von Tellern, Papierstapeln und Kaffeetassen. Der säuberlich aufgeschichtete Stapel Brennholz neben dem Ofen kippt um.
Zehn Meter.
Der Motor röhrt. Der zerschrammte silberne Wagen blitzt in der Sonne auf, als er vom Ende des Stegs in die Höhe katapultiert wird. Einen unendlich wirkenden Augenblick fliegt er durch die Luft – und kracht nur zwei Meter vom Bug entfernt in den Fluss. Ein kalter Schwall Wasser spritzt durchs Fenster und trifft mich mitten in meine verdammte Fresse.
Es ist vorbei.
Ich nehme Fahrt weg, lasse das Boot aber im Rückwärtsgang. Dann eile ich zum Bug. Arrtrad stellt sich mit aschfahlem Gesicht neben mich. Während wir uns langsam im Rückwärtsgang vom Ende der Welt entfernen, sehen wir zu, wie der Wagen im Fluss versinkt.
Er ist schon halb unter Wasser. Ein Mann liegt zusammengesunken über dem Lenkrad. Sein Kopf hat ein blutrotes Spinnennetz aus Rissen in der Windschutzscheibe hinterlassen. Neben ihm liegt eine Frau mit langen Haaren leblos im Beifahrersitz.
Und dann sehe ich etwas, was ich auf keinen Fall sehen wollte. Was ich nie und nimmer sehen wollte. Ein Anblick, der sich in meine Seele bohrt wie ein Eissplitter, der niemals schmelzen wird.
Am hinteren Fenster. Zwei blasse kleine Hände an der Scheibe. Die Handflächen kalkweiß. Sie drücken gegen das Fenster.
Drücken mit aller Kraft.
Und da schwappt das braune Wasser über dem silbernen Dach zusammen.
Arrtrad fällt auf die Knie.
»Nein«, ruft er. »Nein!«
Der linkische Kerl bedeckt sein Gesicht mit den Händen. Sein Körper wird von mächtigen Schluchzern geschüttelt. Rotze und Tränen strömen aus seinem seltsamen Vogelgesicht.
Ich ziehe mich in den Eingang der Kabine zurück, lasse mich vom Türrahmen stützen. Ich kann nicht genau sagen, wie ich mich fühle. Nur anders. Irgendwas ist mit mir passiert.
Mir fällt auf, dass die Dämmerung bereits hereinbricht. Über der Stadt steigt Rauch auf. Mir kommt ein eigentlich recht naheliegender Gedanke. Wir sollten hier verschwinden, bevor noch etwas Schlimmeres auftaucht.
Arrtrad packt mich am Arm und schaut schluchzend zu mir auf. Seine Hände sind mit Tränen, Flusswasser und Schleim von den Tauen benetzt. »Wusstest du, dass das passieren würde?«
»Hör auf zu weinen«, fahre ich ihn an.
»Warum hast du niemandem was gesagt? Was ist mit deiner Mutter?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Du hast nicht mal deiner Mutter was gesagt?«
»Sie kommt schon irgendwie durch. Sie ist sicher okay.«
»Nein, das ist sie nicht. Nichts ist okay. Du bist erst siebzehn. Aber ich habe Kinder. Zwei Kinder. Was, wenn ihnen was passiert ist?«
»Wieso habe ich sie noch nie kennengelernt?«
»Weil sie bei meiner Ex sind. Aber ich hätte sie warnen können. Ich hätte ihnen sagen können, was auf uns zukommt. Da draußen sterben Leute. Sie sterben, Lurker. Das war eine Familie. Da war ein verfluchtes Kind in dem Wagen. Ein kleines Kind, mein Gott. Was ist nur los mit dir, Mann?«
»Nichts ist los mit mir. Hör jetzt auf zu flennen. Gehört alles zum Plan, verstehst du? Wenn du ein bisschen Hirn hättest, würdest du’s kapieren. Aber das hast du ja nicht. Also hör mir zu.«
»Ja, aber …«
»Hör mir zu, und alles wird gut. Wir werden den Leuten da draußen helfen. Und wir werden deine Kinder finden.«
»Das ist unmöglich …«
Ich sehe ihn kühl an. Langsam werde ich wütend. Ein wenig vom alten Feuer flammt wieder in mir auf und vertreibt die Taubheit. »Habe ich dir nicht verboten, das zu sagen?«
»Tut mir leid, Lurker.«
» Nichts ist unmöglich.«
»Aber wie sollen wir das schaffen? Wie sollen wir meine Kinder finden?«
»Es gibt einen Grund, warum wir noch leben, Arrtrad. Dieses Monster. Dieses Ding. Es hat seine Karten auf den Tisch gelegt, verstehst du? Es benutzt Roboter, um Menschen zu töten. Doch jetzt wissen wir Bescheid. Wir können helfen. Wir werden die armen Schäfchen da draußen retten. Wir werden sie retten, und sie werden uns dafür dankbar sein.
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