Robocalypse: Roman (German Edition)
Und Arrtrad, wie er sich in den Chats zu nennen pflegt, steht mit seinem fliehenden Kinn und ewig hüpfenden Adamsapfel auf der anderen Seite des Raumes und fragt, ob ich da nicht rangehen will.
»Weißt du nicht, was das bedeutet, Arrtrad?«, sage ich und weise kurz mit dem Kopf auf das klingelnde Handy.
»Nein, Boss. Ähm, nicht so richtig, um ehrlich zu sein.«
»Niemand ruft jemals auf diesem Handy an, du Volldepp. Niemand außer ihm. Dem Geist in der Maschine.«
Arrtrad wirft einen besorgten Blick auf das vibrierende Gerät.
»Du meinst, der ruft da gerade an?«, fragt er flüsternd.
Da habe ich nicht den geringsten Zweifel.
»Ja, genau der. Schließlich hat niemand sonst je diese Nummer herausfinden können. Meine Nummer.«
»Heißt das, er weiß, wo wir sind?«
Ich betrachte das auf dem kleinen Holztisch kreiselnde Telefon. Es ist umgeben von einem Durcheinander aus Blättern und Bleistiften. Meine unzähligen Projekte. In der guten alten Zeit hatten dieses Handy und ich viel Spaß miteinander. Haben jede Menge lustige Dummheiten zusammen gemacht. Aber wenn ich es jetzt sehe, zucke ich unwillkürlich zusammen. Die Frage, wer am anderen Ende seiner Leitung sitzt, bereitet mir schlaflose Nächte.
Draußen ist ein heulender Motor zu hören, und der Tisch neigt sich zur Seite. Ein Bleistift rollt von den Papieren und fällt mit leisem Klack zu Boden.
»Scheißmotorboote«, schimpft Arrtrad und hält sich an der Wand fest. Das Hausboot wankt noch ein wenig und kommt dann wieder zur Ruhe. Das kleine Zwölf-Meter-Bötchen ist im Grunde ein holzgetäfeltes Wohnzimmer, das schwimmen kann. Die letzten paar Monate habe ich auf dem schmalen Bett des Kahns geschlafen, während Arrtrad auf dem umbaubaren Klapptisch nächtigte und der schmerbäuchige Ofen in der Ecke für ein wenig Wärme sorgte.
Und die ganze Zeit habe ich das Handy im Auge behalten.
Das Motorboot rast weiter über die Themse, Richtung Meer. Vielleicht spielt mir meine Phantasie einen Streich, aber irgendwie habe ich das Gefühl, der Fahrer fuhr nicht aus Spaß so schnell.
Jetzt breitet sich auch in mir langsam Panik aus.
»Mach die Leinen los«, flüstere ich Arrtrad zu, während mich das bedrohliche Klingeln immer mehr beunruhigt.
Es will einfach nicht aufhören.
»Was soll ich tun?«, fragt er verwirrt. »Wir haben nicht mehr viel Benzin, Lurker. Lass uns doch erst ans Telefon gehen. Dann wissen wir, was los ist.«
Ich starre ihn ausdruckslos an. Schluckend erwidert er meinen Blick. Ich weiß aus Erfahrung, dass er in meinen grauen Augen nichts erkennen kann. Keine Gefühle, die ihm über meine Absichten Auskunft geben könnten. Keine Schwäche. Er hat so viel Angst vor mir, weil ich so unberechenbar bin.
Kleinlaut fragt er: »Soll ich rangehen?«
Mit zitternden Fingern nimmt er das Handy vom Tisch. Mildes Herbstlicht scheint durch die Fenster und verwandelt seinen flaumartigen Haarkranz in einen Heiligenschein. Ich darf diesem Schwächling nicht das Kommando überlassen. Ich muss meiner Crew zeigen, wer der Boss ist. Auch wenn meine Crew nur aus einer einzigen Person besteht.
»Gib das her«, murmle ich und nehme ihm das Handy weg. Wie von selbst drückt mein Daumen die Annahmetaste.
»Hier spricht Lurker«, knurre ich. »Und du solltest dich besser in Acht nehmen, Kumpel …«
Eine Bandansage unterbricht mich. Ich halte das Telefon von meinem Ohr weg. Die blecherne weibliche Computerstimme ist so laut, dass sie leicht die ans Ufer schwappenden Wellen draußen übertönt.
»Achtung, an alle Bürger. Dies ist eine Nachricht des örtlichen Katastrophenalarm-Systems. Dies ist keine Übung. Da es im Zentrum Londons zum Austritt gefährlicher chemischer Substanzen kam, werden alle Bürger aufgefordert, geschlossene Räume aufzusuchen. Nehmen Sie auch Ihre Haustiere mit. Verschließen Sie alle Türen und Fenster, und schalten Sie sämtliche Belüftungssysteme aus. Bitte warten Sie auf Hilfe, die bald bei Ihnen sein wird. Beachten Sie, dass aufgrund der Art des Unfalls möglicherweise unbemannte Systeme zu Ihrer Rettung eingesetzt werden. Bis Unterstützung eintrifft, schalten Sie bitte das Radio an, falls weitere Durchsagen gemacht werden. Danke für Ihre Mitarbeit. Piep. Achtung, an alle Bürger. Dies ist eine Nachricht des örtlichen …«
Klick.
»Mach endlich die Leinen los, Arrtrad.«
»Es ist ein Chemieunfall, Lurker. Wir sollten die Fenster zumachen und …«
»Mach die Leinen los, du verdammter Depp!«
Ich schreie
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