Robur der Sieger
Jüngs-
ten Gerichts war, welche, ja, welche war es dann?
In allen Landen der Erde, in Königreichen wie in Repu-
bliken, entstand deshalb eine gewisse Unruhe, die gestillt
werden mußte. Vernimmt einer in seinem Haus eigentüm-
liche und unerklärliche Geräusche, würde er nicht schnells-
tens deren Ursache zu ermitteln suchen, und wenn das ver-
geblich wäre, würde er nicht sein Haus verlassen, um ein
anderes zu bewohnen? Ganz sicherlich! Hier war das Haus
freilich die Erdkugel, und es gab doch kein Mittel, diese zu
verlassen und etwa mit dem Mond, Mars, Venus, Jupiter
oder einem anderen Planeten des Sonnensystems zu ver-
tauschen.
Es galt demnach unbedingt, aufzuklären, was im unend-
lichen leeren Raum, doch innerhalb der Erdatmosphäre,
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vorging. Ohne Luft ist ja ein Geräusch unmöglich, und
da man hier eines vernahm – immer jene fast sagenhafte
Trompete – mußte die Erscheinung auch in der Lufthülle
stattfinden, deren Dichte sich nach oben zu immer mehr
vermindert und die sich über unserem Sphäroid nur wenige
Meilen hoch verbreitet.
Natürlich bemächtigten sich die Tagesblätter der vorlie-
genden Frage, behandelten sie unter allen Gesichtspunkten,
beleuchteten oder verdunkelten sie, berichteten falsche oder
wahre Tatsachen, erregten oder beruhigten die Leser im In-
teresse der Höhe ihrer Auflage – und wiegelten endlich die
schon halb verwirrten Massen nicht wenig auf. Welch ein
Wunder! Die Politik hatte den Laufpaß erhalten und die
Geschäfte gingen deshalb doch nicht schlecht. Aber um was
handelte es sich überhaupt?
Man befragte alle großen Observatorien der ganzen
Welt. Wenn diese keine Antwort gaben, wozu nützten dann
solche Observatorien eigentlich? Wenn die Astronomen,
die selbst in der Entfernung von 100.000 Millionen Meilen
noch einen Lichtpunkt zu zwei und drei Sternen aufzulösen
vermögen, nicht imstande waren, den Ursprung einer kos-
mischen Erscheinung zu ergründen, die nur wenige Kilo-
meter über ihnen auftrat, wozu hatte man Astronomen?
Man könnte auch in der Tat kaum schätzungsweise an-
geben, wieviel Teleskope, Brillen, Fernrohre, Lorgnetten, Bi-
nokel oder Monokel während der schönen Sommernacht
nach dem Himmel gerichtet waren, noch wie viele Augen
sich vor die Okulare und Instrumente von jeder Art und
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Vergrößerung hefteten. Vielleicht mehrere Hunderttau-
send, und das ist nur gering angeschlagen. Zehnmal mehr,
als man am Firmament mit unbewaffnetem Auge sichtbare
Sterne zählt. Nein, noch keiner, auf allen Punkten der Erd-
kugel gleichzeitig beobachteten Sonnenfinsternis hatte man
eine solche Ehre angetan!
Die Observatorien antworteten, aber unzulänglich. Jedes
gab seine Meinung ab, die stets von der aller anderen ab-
wich, so daß sich daraus während der letzten Wochen des
April und der ersten des Mai ein wirklicher Bürgerkrieg un-
ter der Gelehrtenwelt entwickelte.
Das Observatorium von Paris erwies sich sehr zurück-
haltend. Keine seiner Abteilungen sprach sich entschieden
aus. In der Abteilung für mathematische Astronomie hatte
man es für unter seiner Würde gehalten, Beobachtungen an-
zustellen; in der für die Meridianmessung hatte man nichts
entdeckt; in der für physikalische Beobachtungen hatte
man nichts wahrgenommen; in der für Geodäsie nichts be-
merkt; in der für Meteorologie war niemand etwas aufgefal-
len; in der für die Berechnungen hatte man nichts gesehen.
Das war wenigstens ein offenes Geständnis. Dieselbe Offen-
herzigkeit bekundete das Observatorium von Montsoucis,
wie die magnetische Station im Park Saint-Maur. Dieselbe
Achtung vor der Wahrheit bewies das Längenbüro. Nun ja,
Frankreich heißt ja das Land, wo man »frank«, d.h. offen
spricht.
Die Provinz war etwas entschiedener in ihrer Äußerung.
Etwa in der Nacht zwischen dem 6. und 7. Mai hatte sich
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ein Lichtschein elektrischen Ursprungs gezeigt, der 20 Se-
kunden nicht überdauerte. Am Pic-du-Midi war er zwi-
schen 9 und 10 Uhr abends beobachtet worden; im mete-
orologischen Observatorium des Puy-de-Dôme hatte man
ihn zwischen 1 und 2 Uhr morgens bemerkt; auf dem Mont
Ventoux in der Provence zwischen 2 und 3 Uhr; in Nizza
zwischen 3 und 4 Uhr; auf den Semnoz-Alpen endlich zwi-
schen Annecy, le Bourget und dem Genfer See im dem Au-
genblick, als der Tagesschimmer sich eben bis zum Zenit
erhob.
Offenbar konnte man diese Beobachtungen unmöglich
in Bausch und Bogen
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