Robur der Sieger
artesischen Brunnen, an denen
der Aeronef seinen Wasservorrat hätte erneuern können.
Dank seiner außerordentlichen Schnelligkeit aber füllte das
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im Tal von Kaschmir aus dem Hydaspis geschöpfte Wasser
noch immer die Vorratstonnen, selbst in den Wüsten von
Afrika.
Die ›Albatros‹ wurde von den Arabern, den Mozabiten
und den Negern, die sich in den Oasen von Uargla teilen,
unzweifelhaft bemerkt, denn es begrüßten sie von hier aus
Hunderte von Gewehrschüsse, ohne daß die Kugeln sie hät-
ten erreichen können.
Dann kam die Nacht, die grabesstille Wüstennacht, de-
ren Geheimnisse Félicien David so hochpoetisch geschil-
dert hat.
Während der folgenden Stunden kehrte man wieder
nach Südwesten zurück und kreuzte die Straßen von El Go-
lea, von denen eine im Jahre 1859 durch den unerschrocke-
nen Duveyrier entdeckt worden war.
Rings herrschte tiefe Finsternis. Nichts war zu sehen von
der nach den Plänen Duponchels zu erbauenden Sahara-
Bahn, dem langen Eisenband, das Algier mit Timbuktu über
Leghuat und Gardaia verknüpfen und später bis zum Golf
von Guinea fortgesetzt werden soll.
Die ›Albatros‹ gelangte nun in die äquatorialen Gebiete
jenseits des Wendekreises des Krebses. 1.000 Kilometer von
der Nordgrenze der Sahara überschritt sie die Straße, wo
Major Loiny 1846 den Tod fand; sie kreuzte den Weg der
Karawane von Marokko nach dem Sudan, und über dem
Teil der Wüste, in dem die Tuarys hausen, hörte sie, was man
den ›Gesang des Sands‹ zu nennen pflegt, ein sanftes, kla-
gendes Murmeln, das dem Erdboden zu entsteigen scheint.
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Nur ein einziger Zwischenfall ereignete sich hier; eine
Wolke von Heuschrecken zog in großer Höhe daher und
daraus fiel nun eine so große Menge an Bord, daß das Luft-
schiff davon unterzugehen drohte. Die Mannschaft beeilte
sich jedoch, die unerwünschte Last wieder abzuwerfen, bis
auf mehrere hundert Stück, die François Tapage für sich
in Anspruch nahm. Er richtete sie auf so ausgezeichnet
schmackhafte Weise zu, daß Frycollin darüber sogar einmal
seine eigene Angst vergaß.
»Das schmeckt so gut, wie die besten Krabben!« sagte
er. Man befand sich jetzt 1800 Kilometer von der Oase
Uargla entfernt, fast auf der Nordgrenze des ungeheuren
Königreichs Sudan.
Gegen 2 Uhr nachmittags wurde auch am Knie eines
großen Stroms eine Stadt sichtbar. Dieser Strom war der Ni-
ger – die Stadt war Timbuktu.
Wenn dieses afrikanische Mekka bisher nur von kühnen
Reisenden der Alten Welt, von einem Batouta, Khazan, Im-
bert, Mungo Park, Adams, Loiny, Laillé, Barth, Lenz und an-
deren besucht worden war, so konnten von heute ab, und
zwar dank der Zufälligkeiten eines Abenteuers ohneglei-
chen, auch zwei Amerikaner de visu, de auditu und oben-
drein de olfactu davon bei ihrer Heimkehr nach Amerika re-
den – wenn sie überhaupt einmal dahin zurückgelangten.
De visu, weil sie alle Ecken des 5 bis 6 Kilometer großen
Dreiecks, das die Stadt bildet, überblicken konnten; de au-
ditu, weil an diesem Tag großer Markt abgehalten wurde,
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bei dem es ohne einen Heidenlärm nicht abgeht; de olfactu,
weil der Geruchsnerv sehr unangenehm erregt werden
mußte durch die Dünste des Yubu-Kamo-Platzes, auf dem
sich dicht neben dem alten Palast der Könige die Fleischver-
kaufshalle erhebt.
Jedenfalls glaubte der Ingenieur den Vorsitzenden und
den Schriftführer des Weldon-Instituts darauf aufmerksam
machen zu sollen, daß es höchste Zeit sei, sich die Königin
des Sudans zu betrachten, die sich jetzt in den Händen der
Tuaregs von Laganet befindet.
»Timbuktu, meine Herren!« sagte er zu ihnen in demsel-
ben Ton, in dem er 12 Tage früher zu ihnen »Indien, meine
Herren!« gesagt hatte.
Dann fuhr er fort:
»Timbuktu, unter 18 Grad nördlicher Breite und 5 Grad
56 Minuten westlicher Länge von Paris, 245 Meter über
dem mittleren Niveau des Meeres gelegen. Eine bedeutende
Stadt von 12- bis 13.000 Einwohnern, die sich früher durch
Kunst und Wissenschaft auszeichnete. – Vielleicht hätten
Sie den Wunsch, hier einige Tage haltzumachen?«
Ein solches Angebot des Ingenieurs konnte nur ironisch
gemeint sein.
»Indes«, fuhr er fort, »es möchte für Fremde einigerma-
ßen gefährlich werden, inmitten von Negern, Berbern, Ful-
lahs und Arabern, die hier wohnen, besonders wenn wir be-
denken, daß die Ankunft des Aeronefs ihr Mißfallen erregt
haben dürfte.«
»Mein
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