Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Im Gegenteil: Für ihn sei »die Bekämpfung krimineller Motorradclubs ein Schwerpunkt«, die Angels wiesen »deutliche Züge von Organisierter Kriminalität« auf. Jetzt muss Boris Rhein seinen Worten auch Taten folgen lassen. Denn zu diesem Zeitpunkt liegt bereits seit Wochen eine interne Vorlage für ein Vereinsverbot auf dem Tisch des Ministers, von der nur wenige Beamte wissen. Zwar haben die Ermittler des Landeskriminalamts ( LKA ) nicht den Eindruck, Rhein verschleppe das Verfahren, doch nach den Berichten über das belauschte Rockergespräch gewinnt die Sache zusätzlich an Fahrt.
Die Kriminalbeamten drücken ohnehin aufs Tempo und erläutern ihrem Vorgesetzten nun den Schlachtplan gegen die Rocker. Denn die Polizisten wollen diesmal nicht wie bei vorangegangenen Razzien mit Tausenden Einsatzkräften anrücken. Sie planen, auch keine Durchsuchungsbeschlüsse zu erwirken und die Spezialeinsatzkommandos erst in allerletzter Minute zu alarmieren. Die Aktion soll so geheim wie möglich bleiben.
»Unsere größte Sorge war«, erklärt ein LKA -Ermittler hinterher, »dass wir zu spät kommen und die Clubs sich bereits aufgelöst haben, ehe wir zuschlagen können. Dann wäre alles vergeblich gewesen.« Doch zu einer solchen Peinlichkeit wird es erst im Frühsommer 2012 kommen, in Berlin. In Hessen jedoch unterschreibt der Minister am 29. September 2011 gegen 17 Uhr das Verbot, zwei Stunden später schlagen seine Männer zu.
Das hessische Verbotsverfahren ist nicht nur ein Meilenstein, weil es eines der etabliertesten Charter der deutschen Höllenengel trifft, sondern auch weil die Behörden damit einen vollkommen neuen Weg eingeschlagen haben. Im Gegensatz zu den Clubschließungen in Schleswig-Holstein oder Baden-Württemberg braucht es in Hessen kein aktuelles Kapitaldelikt als Anlass, keine blutigen Auseinandersetzungen, keine »Initialtat, die Ressourcen frei macht«, wie die Kriminalisten sagen. Diesmal ist es vor allem unermüdlicher Fleiß an der Aktenfront, der zum Erfolg führt.
Den Startschuss dazu gibt ein Leitender Kriminaldirektor, als er am 1. November 2010 in seiner LKA -Abteilung für Organisierte Kriminalität eine Arbeitsgruppe einrichtet, bestehend aus zwei Beamten. Das Duo soll in akribischer Kleinarbeit aus den behördlichen Datenbanken und Archiven zusammentragen, was gegen die Mitlieder der Motorradclubs im Land vorliegt, und die Erfolgsaussichten für vereinsrechtliche Verbotsverfahren prüfen.
Relativ schnell wird den engagierten Ermittlern klar, dass nur die 83 Rocker der beiden Frankfurter Hells-Angels-Niederlassungen genügend auf dem Kerbholz haben, um ihre Gangs schließen lassen zu können. Für das wichtigere Charter »Westend« führen die Beamten schließlich 15 Urteile auf, die zehn der 38 Clubmitglieder betreffen: Darunter sind allerdings nicht nur einschlägige Gewaltverbrechen, sondern auch drei Geldstrafen wegen Fahrens unter Alkohol- und Drogeneinfluss. In drei anderen Fällen mussten die in der Verbotsverfügung aufgeführten Ermittlungsverfahren, etwa wegen des Verdachts der Ausbeutung von Prostituierten, eingestellt werden, wenn auch zum Teil gegen Geldauflagen.
Aus dem Schriftsatz wird dennoch deutlich, dass unter den Hells Angels gewaltbereite Typen sind, die vor Bedrohung, Einschüchterung von Zeugen und brutalem Waffeneinsatz nicht zurückschrecken. Der Rocker Nils H. etwa wird 2007 wegen Totschlags zu neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er 2006 den Türsteher einer Frankfurter Diskothek mit einem Messer getötet hat. Das Opfer, Dominique T., hatte den Höllenengel erst nicht in den Club lassen wollen, weil der einen Gang-Pullover trug.
Oder Hells Angel Timo G., der im Mai 2009 wegen schwerer Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung für vier Jahre und sechs Monate ins Gefängnis geschickt wird. Der Rocker hatte ein Escortgirl in seiner Wohnung stundenlang auf abscheuliche Weise gequält. Seine »Brüder« halten trotzdem zu ihm, besuchen ihn regelmäßig im Knast und schicken ihm Geld.
Die entscheidende Frage bleibt aber, ob der tödliche Streit um den Einlass in einen Tanzclub oder die sexuellen Grausamkeiten eines Freiers verwaltungsgerichtlich als Belege für die Organisierte Kriminalität der Hells Angels dienen können und das Vereinsverbot somit rechtmäßig ist. Der Jurist Florian Albrecht kommt in einem Aufsatz für die »Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform« zu folgendem
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