Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
seinem Audi A8, während der Fahrt und auf der Autobahn, zweimal den Bandido Thomas K., 24, gerammt. Der Rocker stürzte und erlitt lebensgefährliche Verletzungen.
Der Tathergang zeige, schreiben die Ministerialbeamten, dass der Angriff nicht aus einer persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer resultiert habe, sondern ausschließlich der nicht hinzunehmenden »Territorialherrschaft« der Banden entsprungen sei. Ursächlich für die Attacke war demnach allein der Umstand, dass sich Bandidos zu lange in einem Gebiet aufgehalten hatten, das von den Hells Angels als ihres angesehen wurde.
Hinzu komme, dass nach geltender Rechtsprechung ein Verein sich die – in diesem Fall zahlreichen – Straftaten seiner Mitglieder zurechnen lassen müsse, wenn die von Organen des Clubs angeordnet oder mit deren Wissen und Billigung begangen worden seien. Der hierarchische Aufbau der Hells Angels stelle indes sicher, »dass zumindest die Funktionsträger über nahezu alle für den Verein bedeutenden Straftaten einzelner Mitglieder unterrichtet sind«.
Daraus folgt letztlich: »Der Zweck und die Tätigkeit des Vereins ›Hells Angels MC Charter Flensburg‹ laufen den Strafgesetzen zuwider. Der Verein ›Hells Angels MC Charter Flensburg‹ richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung.« Deshalb werde er verboten und aufgelöst. Es hat sich ausgerockt im hohen Norden.
Dabei hatte man in Schleswig-Holstein – genau wie im Rest der Republik – die Hells Angels zuvor über viele Jahre gewähren lassen. Erst als sich im Frühjahr 2009 die Bandidos nach Neumünster vorwagen, der Konkurrenz das Terrain streitig machen, und es in der Folge immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Lagern kommt, muss das Kieler Innenministerium reagieren. Zumeist tut es das mit aufwendigen Großeinsätzen der Landespolizei.
»Das Bestreben der Hells Angels scheint es zu sein, die Bandidos wieder aus dem Land zu drängen«, sagt bereits im Dezember 2009 der LKA -Dezernatsleiter für Organisierte Kriminalität, Detlev Zawadzki. Die Bandidos hingegen, so der Kriminalist, wollten ihren Brückenkopf im Norden unbedingt halten und damit auch die Nähe zu ihren »Brüdern« in Dänemark. Die Sonderkommission »Rocker«, die Zawadzki leitet, zählt seinerzeit etwa 50 Mitglieder der verfeindeten Clubs in Schleswig-Holstein, hinzu kämen noch einmal etwa 50 sogenannte Unterstützer, oftmals schlagkräftige Typen, die als Sturmtruppen gegen den jeweiligen Rivalen angesetzt würden.
Besondere Brisanz gewinnt die ohnehin instabile Situation dadurch, dass sich Führungsfiguren beider Lager bereits seit Jahren kennen und verabscheuen. So gerieten der Neonazi und ehemalige NPD -Landesvorsitzende Peter Borchert, inzwischen Vize-Präsident bei den Neumünsteraner Bandidos, und der Hells Angel Dennis Kofoldt schon früher aneinander. Der Altrocker erlitt dabei schwere Stichverletzungen, ein Gericht konnte jedoch Notwehr nicht ausschließen und sprach Borchert frei.
Beide Gangs reagieren im Frühjahr 2010 mit heftiger Empörung auf das Vereinsverbot. Sie hätten das Gewaltmonopol des Staates niemals in Frage gestellt, sagt Bandidos-Sprecher Michael Mnich. Das Vorgehen des Innenministers sei unverhältnismäßig und beruhe »weitestgehend auf Vermutungen und Legenden, was unser Zusammenleben anbelangt«. Sie würden daher »alle zur Verfügung stehenden juristischen Mittel ausschöpfen, um gegen das Verbot des Chapters in Neumünster vorzugehen«. Auch Hells-Angels-Sprachrohr Rudolf »Django« Triller kündigt rechtliche Schritte an: »Auf jeden Fall!«
Doch im Verlauf des Jahres 2012 wird das Oberlandesgericht Schleswig die Verbote bestätigen. Da haben die Höllenengel allerdings schon ganz andere Sorgen, ist doch inzwischen auch ihr wichtigster Club im Land geschlossen worden.
Die Strategie der Polizei
Die vertrauliche »Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität – Rahmenkonzeption« – im Behördenjargon BR-RK abgekürzt – umfasst 64 Seiten, und auf jeder einzelnen steht in der Kopfzeile » VS – Nur für den Dienstgebrauch«. Doch an diese behördliche Verwendungsbeschränkung fühlen sich die Hells Angels nicht gebunden, als sie das wichtige Strategiepapier der deutschen Polizei im Sommer 2012 ins Internet stellen.
Die Frage, wie die Rocker an das Dokument kamen, wird wohl nie abschließend geklärt werden können. Interessanter als der Weg des Papiers in die Öffentlichkeit ist ohnehin dessen Inhalt. Denn darin legen
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