Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
sich im Oktober 2010 die Ermittler aus Bund und Ländern erstmals auf eine gemeinsame Strategie gegen die Gangs fest.
Und auch die später reihenweise exekutierten Zwangsschließungen von örtlichen Banden-Niederlassungen spielen in dem Dokument bereits eine konzeptionell wichtige Rolle. »Sofern Ermittlungen gegen Rockergruppen zu dem Ergebnis geführt haben«, schreiben die Beamten nämlich, »dass die Aktivitäten des Clubs auf eine planmäßige Begehung von Straftaten ausgerichtet sind« oder »dass der Club Straftaten einzelner Mitglieder im Clubinteresse duldet, fördert oder deckt, (…) ist ein Verbotsverfahren nach dem Vereinsgesetz zu prüfen.«
Die Vergangenheit habe gezeigt, so heißt es in dem Dokument, dass ein solches Vereinsverbot »ein wirksames Mittel sein kann, die von Rockerclubs bewusst in der Öffentlichkeit zur Schau gestellte Machtentfaltung zu beeinträchtigen oder nachhaltig zu unterbinden«. Zugleich werde auf diese Weise sowohl der Szene als auch der Öffentlichkeit vermittelt, »dass staatliche Organe willens und in der Lage sind«, rechtliche Möglichkeiten »zum Schutz der Allgemeinheit« auszuschöpfen.
Im Grunde genommen bekennt die Exekutive hier, worauf es ihr ankommt, wenn sie etwa ein Hells-Angels-Charter dichtmachen lässt. Sie handelt weniger in der Hoffnung, die Rocker zu bekehren, sondern vielmehr in der Absicht, ihre eigene Handlungsfähigkeit zu beweisen. Die hohe Schule aktionistischer Symbolpolitik hatte damit endgültig Einzug in die bis dahin eher fachlich-nüchterne Arbeit der deutschen Kriminalpolizei gehalten.
»Borderland«-Syndrom
Die nächste Stecknadel auf ihrer Landkarte büßen die Hells Angels am 6. Juni 2011 im baden-württembergischen Pforzheim ein – denn die Vorlage des Charters »Borderland« scheint für die Rechtsgelehrten im Staatsdienst einfach zu verlockend zu sein, um sie nicht in ein Verbot zu verwandeln. Die grundsätzliche Schwierigkeit bei Vereinsverboten ist die juristisch saubere Differenzierung, ob die Straftaten der Mitglieder nur dem kriminellen Streben Einzelner entspringen oder ob sich in ihnen auch der Wille des gesamten Clubs ausdrückt. In Pforzheim fällt den Beamten die Antwort auf diese Frage vergleichsweise leicht.
Ausgangspunkt ist, wie es in der Verbotsverfügung heißt, der zunächst private Konflikt zwischen einem Hells Angel und einem Mitglied der örtlichen Türsteher-Gang United Tribuns. Jedoch folgen die sich anschließenden Straftaten auch hier einem generellen Muster, so steht es in dem Schriftsatz des Innenministeriums: »Der Angriff auf ein Mitglied der Hells Angels wird als Angriff auf den Verein, auf dessen Ehre und Machtanspruch gesehen.« Und das bedeutet wieder einmal: Rache ist angesagt.
Am 27. November 2010 treffen sich die verfeindeten Banden auf dem Parkplatz des Pforzheimer Güterbahnhofs. Doch statt zu einer Aussprache kommt es zu einer Massenkeilerei, in deren Verlauf 15 Hells Angels und sieben Tribuns aufeinander losgehen: Zwei Türsteher werden durch Machetenhiebe und ein Rocker durch einen Messerstich in die Nierengegend schwer verletzt.
Am Ende soll der Vize-Präsident der örtlichen Höllenengel Danny K., 35, mit einem Revolver Kaliber .38 Special auf die Widersacher geschossen haben. Sein Bruder Marcus, 25, hielt womöglich ebenfalls eine Waffe in den Händen, ein anderer Rocker eine Pumpgun. Ob auch sie feuerten, konnte nicht ermittelt werden.
Doch damit ist die Fehde keineswegs beendet, im Gegenteil. In der virtuellen Nachbetrachtung der Schlacht bei Facebook reklamieren die United Tribuns nämlich nun dreist den Sieg für sich – und das gegen zahlenmäßig deutlich überlegene und besser bewaffnete Hells Angels. Das geht nun gar nicht. Laut Innenministerium beschließen die Rocker daraufhin per Abstimmung aller Mitglieder (»One man, one vote«), die Anführer der verhassten Tribuns umzubringen. Sie sammeln demnach Informationen vor allem über die Chefs der Bande, die Brüder R., und erstellen Steckbriefe mit Anschriften, Lage der Wohnungen, Mitbewohnern, benutzten Autos und Arbeitsstätten. Schusswaffen haben die Hells Angels sowieso.
Doch zu Attentaten kommt es nicht, der Staat ist schneller. In diesem Fall nämlich müssen die Juristen nicht lange darüber diskutieren, ob die kriminellen Absichten den Köpfen Einzelner entsprungen oder dem Club zuzuschreiben sind. In der Verbotsverfügung heißt es: »Der Verein muss sich die strafrechtswidrige Verabredung zum Mord seiner Mitglieder
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