Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Tätowierers geht ein anderer Nomade für viele Jahre ins Gefängnis. Schussverletzungen, Messer im Rücken, aufgeschlitzte Gesichter, fast abgehackte Arme: Die Hells Angels haben in den vergangenen Jahren auch oft einstecken müssen.
Schon seit geraumer Zeit wird in Berlin darüber spekuliert, den Rockerclub schließen zu lassen. Es ist typisch für die Geschwätzigkeit der Hauptstadt, dass Senatoren, Staatsanwälte und Polizeiführer in Hinterzimmerrunden, beim Bier oder in Verhandlungspausen vor Gericht über das Thema palavern. Jeder hat eine Meinung, keiner hält damit hinter dem Berg.
Irgendwann erreichen die Gerüchte auch André Sommer und seine Hells Angels »Nomads«, die als Eliteableger der Rockergang gelten. In jedem Land der Welt darf es sie nur einmal geben, weshalb der Berliner Sommer seinen Club unbedingt vor dem Verbot bewahren will. Ein Umzug ist angesagt.
Eine kleine, vergleichsweise unbescholtene Truppe übernimmt die Führung des Charters und verlegt es in ein kleines Kaff nördlich Berlins: Torsten L., Henry J., René L., Dirk F. und als Präsident Alfons B. sind allesamt nicht vorbestraft, einen Verein unter ihrem Kommando zu verbieten dürfte schwierig sein. Die Kutten derer, die nicht umziehen, werden versteckt, die Gelder beiseitegeschafft, die Motorräder auf unverdächtige Privatpersonen überschrieben. Sommer selbst bringt das größte Opfer: Er verlässt seine geliebten »Nomads« und gründet ein neues Charter. Allzu einfach will er es der Polizei selbst an Pfingsten nicht machen.
»Berlin City« war einmal
Wenn es nach André Sommer geht, soll nun auch Kadir Padir sein Charter der Geschichte überantworten, statt es vom Staat schließen zu lassen. Doch der 28-jährige Türke, der ja früher als fanatischer Bandido die Hells Angels bekämpfte und schließlich mit fast allen seiner Gefolgsleute zu den Höllenengeln überlief, will plötzlich nicht mehr. Erst im Laufe der Nacht von Pfingstmontag auf Dienstag soll es Sommer gelungen sein, Padir zu überzeugen.
Nachdem nun also auch die Hells Angels »Berlin City« mitziehen, wird am nächsten Morgen wohl erst Frank Hanebuth in Hannover und dann der zuständige Pressesprecher Rudolf »Django« Triller informiert. Als Bote, im Szenejargon »Pony-Express« genannt, rast der Höllenengel Dirk F. persönlich gen Westen. Man will vermeiden, dass die Staatsmacht von den beschlossenen Clubschließungen aus Telefonüberwachungen oder abgefangenen Mails erfährt.
Um Padir Zeit zu geben, »noch ein paar Dinge zu regeln«, einigt man sich darauf, das Ende des Ortsvereins »Berlin City« erst am Nachmittag zu verkünden. Padirs Leute nutzen die Zeit, um ihre Kutten fortzuschaffen und blütenweiße T-Shirts überzuziehen. Dann werden am Clubheim in der Residenzstraße die Hells-Angels-Embleme abmontiert. Die Polizei erfährt davon durch den Anruf eines Journalisten.
Kurz nachdem der Angels-Sprecher die Nachricht von der Auflösung des Berliner Charters am Nachmittag per Internet verbreitet hat, geht auch bei der Polizei ein Fax ein: Es ist ein Screenshot der Internetseite »Ride free«. Mit dürren Worten wird dort die Auflösung der Bande »Berlin City« vermeldet. Einem Polizeisprecher zufolge ist angeblich nicht klar, woher das Fax kommt. Dabei ist das selbst für ungelernte Kriminalisten gut zu erkennen.
»An Heike Rudat«, steht darauf, das ist die zuständige LKA -Dezernatsleiterin, die noch ein paar Wochen zuvor die Schilder am Vereinsheim angeblich »eigenhändig« abschrauben wollte. Und auch der Absender ist deutlich lesbar: HMK Rechtsanwälte. Mit einer Berliner Nummer, die zu einem Juristen im Bezirk Tempelhof gehört. Da es keinen Verein mehr gibt, kann auch keiner verboten werden, so soll die Botschaft der Hells Angels verstanden werden.
Alte Sofas, ein Täschchen und ein Anschlag
Aus taktischen Gründen zieht das LKA daraufhin die Razzia um einige Stunden vor. Kurz nach 22 Uhr läuft am Dienstag nach Pfingsten 2012 über den nicht abhörsicheren Polizeifunk der Befehl zum Sammeln. Reporter und Fotografen wissen, dass es gleich losgeht. Auch die Rocker sind somit gewarnt, hören sie doch über ihre Scanner mit. Der Rest ist Show.
Dennoch wird der zuständige Innensenator Frank Henkel ( CDU ) später einen »Erfolg im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen« feiern. Geschätzte 20 Sofas werden aus dem Höllenengel-Heim getragen und in die Asservatenkammer verbracht. Der harte Rocker sitzt nämlich gerne weich. Zwei Möbelwagen
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