Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
untergebrachten auswärtigen SEK -Kräfte rund um die Uhr observieren.
Doch erst einmal wird noch ein ganz besonderer Coup vollzogen. Wochenlang haben die Hells Angels von Kadir Padir mit den Bandidos »South Side« um Grischa Vowe verhandelt. Beide Männer kennen sich seit langem. Geplant ist nun ein vollständiger Seitenwechsel der Berliner Banditen, wie ihn Padir bereits zwei Jahre zuvor vorgemacht hat. Die parallel erfolgenden Attacken – so eine Vermutung der Ermittler – sollen in diesem Zusammenhang vielleicht den Wechseldruck erhöhen. Frei nach dem Motto: »Kommt zu uns, dann ist alles gut.«
Der kollektive Zusammenschluss der einst so verfeindeten Rockergangs ist ein sehr seltener Vorgang. Doch er zeigt, dass es den Gangs mittlerweile ziemlich schnuppe ist, wessen Kutte sie tragen. Da, wo die Macht ist, ist das Geld – und da sind die neuen Rocker: Loyalität ist was für alte, sentimentale Männer.
Die Bandidos wollen natürlich nicht zu Padirs Charter wechseln, ist das doch von einem Verbot bedroht. Die Überläufer möchten sich schließlich nicht bald wieder in den Niederungen der Kleinkriminalität tummeln müssen. Ohne die internationale Struktur eines starken Clubs im Hintergrund scheint das Ganovendasein sehr viel mühseliger zu sein. Daher wählen die Beteiligten den Hells Angels MC »Potsdam«, der im benachbarten Brandenburg liegt und nicht als verbotsgefährdet gilt.
Am Pfingstmontag, den 28. Mai 2012, zieht gegen 16.30 Uhr eine Hundertschaft der Polizei vor dem Bandidos-Clubhaus in der Streustraße auf. Die Beamten halten ihre Funkgeräte griffbereit, um möglicherweise gleich Verstärkung zu rufen, sind doch die Hells Angels im vollen Ornat im Revier ihrer Feinde aufgelaufen. Doch die Atmosphäre ist entspannt, von Gewalt keine Spur. 62 Rocker werden kontrolliert, keine besonderen Vorkommnisse.
An diesem Tag wird der Kampf um die Vorherrschaft in der Berliner Rockerszene wohl endgültig entschieden. Die Hells Angels haben in das Vereinsheim der Bandidos an der Streustraße funkelnagelneue Kutten mitgebracht, die sie in einer für Rocker durchaus feierlich zu nennenden Zeremonie übergeben.
Die anabolikagestählten Rocker vom bisherigen Konkurrenzunternehmen Bandidos werden mit ihrem Rufnamen nach vorne gebeten und nehmen die Westen der einstigen Todfeinde entgegen. Dann bestellen die Männer 100 Hamburger, und die Party kann beginnen. Mit dem seit Wochen geplanten Wechsel ins brandenburgische Potsdam haben sich die Rocker auch der Zuständigkeit der Berliner Polizei und einem drohenden Vereinsverbot entzogen.
Damit ist der erste Ordnungspunkt dieses ereignisreichen Tages abgehandelt. »Bei uns sind gestern 18 Mitglieder ausgetreten. Wo die hingegangen sind, weiß ich nicht. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen«, verkündet keine 24 Stunden später ein Sprecher der deutschen Bandidos-Führung mit finsterem Blick. So sieht jemand aus, der Rache schwört. Von wegen »Bandidos forever, forever Bandidos«.
Exodus der »Nomads«
Der historischen Stunde eines beachtlichen Verrats wohnt auf Seiten der Hells Angels auch André Sommer, 48, bei. Der muskelbepackte Ex-Hooligan des Ostberliner Fußballclubs Dynamo ist Präsident der Hells Angels »Nomads«. Er hat in dieser Funktion Holger »Hocko« Bossen beerbt, einen der berüchtigtsten Höllenengel in Deutschland, Markenzeichen: böse gucken früh um fünf.
Sommer ist in die Jahre gekommen, die schwersten Kämpfe liegen hinter ihm. Schon zu DDR -Zeiten prügelte er sich gerne mit der grün uniformierten Staatsmacht, die damals Volkspolizei hieß, auch wenn sie keine Polizei des Volkes war. Sommer saß sogar im Stasiknast Hohenschönhausen ein. Das war 1983, die DDR erlebte eine Art zweiten Frühling, und Sommer machte sich als Fußballschläger einen Namen. Heute ist der Rocker eher dem deutsch-nationalen Gedankengut verhaftet, in seiner Berliner Kneipe »Germanenhof« darf geraucht werden, das Bier kostet 1,50 Euro, und die harten Jungs aus dem nahen Plattenbauviertel sind hier gerngesehene Gäste.
Im Mai 2012 gehen Sommer und seine Getreuen davon aus, dass auch ihre »Nomads« von einem Verbot betroffen sein werden. Zu viel ist passiert in den vergangenen Monaten, zu oft wurde geschossen. Mit Rayk Freitag, dem Karatekämpfer, der sich an einem Sonntagmorgen 2008 eine wüste Keilerei mit der Polizei geliefert hatte, saß ein Rocker aus der Clubführung im Knast, verurteilt zu einem Jahr Haft. Im Zusammenhang mit der Erpressung eines
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