Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
voll Plunder aller Art fahren ebenso davon wie uralte Hantelbänke, zerschlissene Sessel und eine abgenutzte Küche. Bei Charter-Chef Padir dauert die Durchsuchung bis in den frühen Morgen, dort stellen die Beamten unter anderem ein Prada-Täschchen sicher.
Die Bandidos sind übergelaufen, die Polizei sucht einen Verräter, der ihre geplanten Verbote verpfiffen hat, und die Hells Angels haben sich in Teilen rechtzeitig selbst aufgelöst oder Berlin verlassen. So weit ist alles klar und geregelt in der Hauptstadt.
Zwei Wochen später, am Hintereingang der Kneipe »Germanenhof« in Berlin-Hohenschönhausen: André Sommer parkt hier wie immer seinen türkisfarbenen englischen Kleinwagen und seine verchromte Harley-Davidson. So kann er je nach Wetterlage überdacht oder mit den Haaren im Wind nach Hause fahren.
Vor ein paar Tagen hat er einen neuen Geschäftsführer für seine Kaschemme eingesetzt. Gegen 3 Uhr will Sommer Feierabend machen. Was er nicht ahnt: In einem Gebüsch lauert ein Unbekannter, der es auf den Hells Angel abgesehen hat. Zwar hat ein Rocker immer mit dem Tod zu rechnen, aber muss der wirklich so plötzlich und feige aus dem Dunkel kommen? Sommer geht die Treppe hinunter, sieben Stufen, lässt die Harley an und will losfahren, als der Täter schießt. Zwei Kugeln verletzen den Hells-Angels-Boss schwer. Bei der Tatwaffe soll es sich nach Ermittlerangaben um eine aufgebohrte Gaspistole mit kleinem Kaliber gehandelt haben. Benutzen so etwas Profis? Was ist das Motiv? Und hat Sommer seinen Gegner erkannt? Das interessiert auch die Spürnasen der Berliner Mordkommission.
Doch vor den Antworten auf diese Fragen steht, einmal mehr, das Schweigen der Rocker. Dass er den Mund halten kann, hat Sommer ja auch fast auf den Tag genau drei Jahre zuvor schon einmal unter Beweis gestellt, als er mit Stichwunden im Rücken nur knapp einem tödlichen Angriff entkam. Im Prozess gegen die mutmaßlichen Angreifer schwieg er eisern – ein Hells Angel redet nicht mit der Staatsmacht. Insofern machen sich die Berliner LKA -Beamten nicht allzu große Hoffnungen, dass Sommer dieses Mal auspacken könnte.
Als der schwer verletzte Sommer nach der Attacke vor dem »Germanenhof« ins Krankenhaus gebracht wird, halten seine Gefolgsleute tagelang vor dem Kliniktor Wache. Unter ihnen sind auch Kadir Padir, sein alter Konkurrent, und Grischa Vowe, der ehemalige Edel-Bandido und Überläufer. Jetzt sind sie alle Angels.
Sommer bekommt in diesen Tagen übrigens auch mehrere SMS von einigen Bandidos: Er solle tapfer sein, den Kopf oben behalten. Der Verwundete bedankt sich umgehend für die Genesungswünsche der Gegner. Auch Rocker zeigen manchmal Mitgefühl, zumindest die der alten Schule.
»Schnauze!«
Dienstag, 3. Juli, 11.39 Uhr, Keithstraße 30, Berlin-Tiergarten: Ein blauer Jeep Grand Cherokee mit Berliner Kennzeichen fährt vor. Am Steuer ein kräftiger Mann mit rasiertem Schädel. Seine wachen Augen taxieren die Gegend. Der Koloss und sein Beifahrer steigen aus und sichern die Straße. Über Funk wird ein zweiter Wagen, ein silberfarbener Mercedes Vito, gerufen, der dann entgegen der Fahrtrichtung genau vor dem Dienstsitz des Landeskriminalamtes Berlin, Abteilung 1, zuständig für »Delikte am Menschen«, hält.
In dem Bau aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts arbeitet die Mordkommission. Dem Transporter entsteigt André Sommer, ehemaliger Anführer der Hells Angels »Nomads«. Er hat abgenommen, das Gesicht ist fahl, nicht so voll und rosig wie noch vor ein paar Wochen. Um den linken Arm, den eine Kugel durchschlagen hat, schlingt sich ein Verband.
Mit schleppendem Gang bewegt sich Sommer zur Eingangstür. Die Frage nach seinem Gesundheitszustand beantwortet Bodyguard Nummer drei, ein »Supporter«, durchtrainiert und stilecht mit Sonnenbrille, mit einem Wort: »Schnauze!« Sommers Anwalt drückt die schwere, mit Kupfer beschlagene Holztür auf. Für die schönen Kassettendecken im Eingangsbereich hat Sommer keinen Blick. Vorbei am Pförtner geht es in den zweiten Stock, in ein Vernehmungszimmer der 2. Mordkommission. Die Fahnder und eine Sekretärin warten schon.
Ein paar Tage zuvor hat Sommer ein Security-Unternehmen gebeten, ihn zu beschützen. Zwar übernähme das wohl auch die Polizei, sogar unentgeltlich, aber das wiederum will der Höllenengel nicht. Doch Sommers Schutz mache nur bewaffnet Sinn, urteilt die von einer Berliner Kanzlei beauftragte Sicherheitsfirma: Schließlich ist bereits ein
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