Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
kleinlaut auch diese Lüge ein. Er habe das Geld aber nur genommen, weil sein Arbeitgeber seinen Monatslohn nicht zahlen konnte, verteidigt er sich. Doch auch das ist nicht richtig.
Rolf D. – und das ist typisch für Kronzeugen – sagt nicht immer die Wahrheit, was aber wiederum nicht bedeutet, dass er stets lügt. Die Welt der Kriminellen und Kronzeugen ist grau, die der Gesetze und Strafverfolger schwarz oder weiß – diese beiden Sphären sind nur schwer miteinander in Einklang zu bringen.
Was die ganze Sache zusätzlich erschwert, ist, dass D. den vernehmenden Beamten lieber wüste Geschichten erzählt, als ihnen einmal deutlich zu sagen: »Davon habe ich keine Ahnung.« Er will sich eben möglichst teuer verkaufen.
Die Unberechenbaren: Thomas P. und »Bad Boy Uli«
Wie schwierig oft schon der menschliche Umgang mit den ehemaligen Rockern ist, belegen zwei weitere Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.
Thomas P. ist Mitglied der Bremer Hells Angels, allerdings nicht sehr lange, weil der ehemalige Zeitsoldat und Türsteher schon recht schnell im dortigen Clubheim, aufgeputscht von Alkohol und Koks, durchdreht und sich auch nach seiner Suspendierung kein bisschen zu ändern gedenkt. Nach dem endgültigen Rausschmiss will P. dann den früheren »Brüdern«, die er offenbar zu verachten gelernt hat, möglichst nachhaltig schaden. Also geht er zur Polizei.
Wie so viele Rocker hat Thomas P. bei den starken Kerlen »eine Familie« gesucht, so offenbart er es selbst in seinem Buch mit dem programmatischen Titel »Der Racheengel«. Der Sohn einer alkoholkranken Gelegenheitsprostituierten hoffte, als Mann das zu finden, was er als Kind nie kennengelernt hatte: »Ich wollte eine Gemeinschaft, in der man sich gegenseitig vertrauen kann. Ich wollte Freundschaft, Brüderlichkeit, Treue, Sicherheit – und auch Liebe.« Bei den Hells Angels aber ist man mit diesen Sehnsüchten definitiv an der falschen Adresse.
Seine zwangsläufige Enttäuschung führt Thomas P. zur Polizei, er wird Kronzeuge – unter anderem in dem Verfahren gegen ein gutes Dutzend Hells Angels, die im Frühjahr 2006 mehrere Bandidos in Stuhr bei Bremen überfallen und schwer verletzt haben. Doch schließlich vergeigt er auch diese Mission, weil er sich wieder einmal unverstanden und schlecht behandelt fühlt.
Vor allem stört ihn das Gebaren eines niedersächsischen Spezialeinsatzkommandos. Die Beamten haben ihm – immerhin war er Mitangeklagter – offenbar für den Transport zum Gericht die Hände gefesselt. Sie wollen auf Nummer sicher gehen, doch P. ist empört: »Warum behandelt man mich wie ein Haufen Scheiße?«
Sein Anwalt zeigt daraufhin im Auftrag seines Mandanten die Polizisten wegen Freiheitsberaubung an, jedoch ohne Erfolg. Zugleich verweigert Thomas P. die wichtige Aussage vor Gericht, angeblich weil ihm kein Strafnachlass in Aussicht gestellt worden ist. Die angeklagten Hells Angels freuen sich, kommen sie doch in plötzlicher Ermangelung eines redseligen Kronzeugen mit niedrigsten Strafen davon. Ein Ermittler, der mit Thomas P. zu tun hatte, erinnert sich an ihn als eine »hochgradig gestörte Person«, gewöhnt an den Konsum von Tabletten, Alkohol und anderen Drogen, der mit seinem Wankelmut sämtliche Beamten in den Wahnsinn getrieben habe.
Auch in Münster, im Prozess gegen die Mörder des Hells Angels Robert K., sagt P. aus und hinterlässt dabei einen verheerenden Eindruck. Bleich, desorientiert, mit langen schwarzen Haaren will er, wirres Zeug nuschelnd, die Verantwortung für den Tod des K. noch seinen ehemaligen »Brüdern« zuschieben. Zur Wahrheitsfindung trägt er damit nicht bei, alles, was Thomas P. interessiert, ist Rache. Doch seine blinde Wut beraubt ihn jeglicher Glaubwürdigkeit und macht ihn schließlich als Zeugen unmöglich.
Ähnlich verheerend verhält sich auch Ulrich Detrois, genannt »Bad Boy Uli«. Der ehemalige Boss der Hells Angels »Kassel« ist der wohl hochrangigste Kronzeuge, der sich aus deutschen Rockerkreisen bislang den Behörden zur Verfügung gestellt hat. Als Vize-Präsident nahm er jahrelang an Treffen deutscher Angels-Anführer teil, auf denen strategische Entscheidungen für den Club getroffen werden.
Nachdem seine örtlichen Untergebenen ihn jedoch in einer Art Meuterei abgesetzt und mit einem »out in bad standing« belegt haben, geht Detrois erst zur Polizei und lässt später – genau wie Thomas P. – ein Buch schreiben: »Höllenritt« heißt es, und zeitweilig verkauft es
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