Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
vereisten Straße durch. Denny S. und Robert L. springen aus dem Mazda und rennen auf den VW zu. S. reißt die Beifahrertür auf, dort sitzt der Hellersdorfer Kevin R.
»Für mich hat der Krieg zwischen den Bandidos und Hells Angels zum ersten Mal ein Gesicht bekommen«, sagt der Angreifer Robert L. in einer späteren Polizeivernehmung über diesen Moment. »Ich kenne Kevin aus der Schule.« Doch Pardon wird nicht gegeben, die Nacht endet blutig.
Als Denny S. es nicht schafft, den korpulenten Kevin R. aus dem Auto zu reißen, rammt er ihm ein Messer in den Oberschenkel. Zehn Zentimeter tief. Als er ein zweites Mal zustechen will, greifen die Räder des Golfs plötzlich und die Brigade-81-Mitglieder können flüchten. Sie bringen den Verletzten ins Sana-Klinikum in der Fanninger Straße. R. sagt der Notärztin, ein Unbekannter habe ihn attackiert. Mehr nicht.
Den Wartebereich der Notaufnahme bewachen acht alarmierte Brigadisten. Die Männer schließen anscheinend nicht aus, dass der Gegner erneut angreift. Auch der Hells-Angels-Anführer André Sommer eilt höchstpersönlich ins Krankenhaus und unterstützt seine Brut. Anerkennung ist die beste Methode, die Untergebenen zu motivieren.
Und so schweigt der verletzte Kevin R. auch gegenüber den Ermittlern des LKA -Rockerkommissariats 422, die ihn einen Tag später am Krankenbett der Station 6a vernehmen wollen. Der Novize hat schon die wichtigste Regel verinnerlicht: Bei der Polizei wird die Klappe gehalten, auch als Opfer. Der Messerstecher Denny S. und seine Hiwis kehren in der Tatnacht noch in ihr Hauptquartier zurück. Der Angriff muss ausgewertet werden, Einsatznachbesprechung hieße das im Behördendeutsch.
Dazu eilt extra Grischa Vowe herbei – damals der unbestrittene Herrscher über alle Bandidos, Unterstützer in Ostberlin und einer der wichtigsten Rocker Deutschlands. Vowe will bei der Befragung im Meetingraum vor allem wissen, warum die Insassen des zweiten Autos nicht ausgestiegen sind. Danach nimmt sich die Runde die Messerattacke vor. »Denny wurde in den Himmel gelobt. Ich glaube von Vowe«, sagt der spätere Aussteiger Roman L. bei der Polizei. Gewalt ist Respekt. Wer in der Szene nach oben will, sollte immer eine Waffe dabeihaben und sie einzusetzen wissen.
Der Kleindealer L. jedoch entschließt sich im Winter 2012, seine Rockerkarriere zu beenden und umfänglich bei der Polizei auszupacken. Zu der Zeit sitzt er in Untersuchungshaft. Am 10. Februar 2012 bricht er um 15.50 Uhr mit seiner Vergangenheit und offenbart sich einem Kriminalhauptkommissar. Er schildert detailliert die Brandstiftung in Hellersdorf, die Messerattacke in Lichtenberg und einen Raubüberfall in Schöneberg auf zwei wehrlose Frauen.
Seit diesem Februartag ist das Zeugenschutzprogramm der Polizei für ihn zuständig, denn Roman L. muss die Rache seiner früheren Kumpane fürchten. Die Behörden bringen ihn aus Berlin heraus und stecken ihn in eine Einzelzelle. Mit der Rockerbeichte in den Akten gründet das Landeskriminalamt die Arbeitsgruppe »Chamäleon«.
Am 28. März 2010 um 20.10 Uhr stürmt ein Spezialeinsatzkommando aus Niedersachsen die Bleibe des La-Onda-Anführers und Brandstifters Florian F. in der Streustraße in Weißensee. »In der Wohnung befanden sich keine Personen, nur eine Katze, die nicht zu Schaden kam«, heißt es später im Durchsuchungsbericht. Auf der Kommode im Wohnzimmer, direkt neben der Kuschelhöhle der Katze, liegt griffbereit eine Machete mit einer 40 Zentimeter langen Klinge. Etwas weiter auf einem Stapel Wäsche die La-Onda-Kutte. Als Florian F. kurze Zeit später mit seiner Freundin nach Hause kommt, nehmen ihn die Polizisten fest.
Die interessantesten Funde machen die Beamten in einem Aktenordner. Sie sichern Papiere, die das Binnenleben der Bandido-Unterstützerclubs beleuchten. In der aufgefundenen »Satzung der Support-Chapter innerhalb des Bandidos MC Europe« beschreibt die Motorradgang ziemlich genau, welche Eigenschaften ein Unterstützer erfüllen muss:
Jedes Mitglied eines »Support-Chapters« muss männlich und mindestens 18 Jahre alt sein.
Jedes Mitglied muss ein Motorrad mit mindestens 500 ccm besitzen und fahren.
Jedes Mitglied steht loyal und ausschließlich zum Bandidos MC .
Im Gegensatz zu den »Support-Chaptern« gelten für echte Bandidos härtere Aufnahmekriterien. Sie müssen 21 Jahre alt sein und eine Harley-Davidson fahren, nicht bloß irgendein Motorrad. Auf diese Weise verwässert der Club bei seinen
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