Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
sich der Oberkommissar eine Walther P99 um, damit er im Ernstfall das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen vermag.
Polizeibeamten ist es nicht verboten, privat in Klamotten und mit Frisuren der achtziger Jahre herumzulaufen. Aber Oberkommissar Heinz B. sieht nicht nur aus wie ein Bandido in Uniform, er handelt wohl auch so. Abgehörte Telefonate aus dem Jahr 2008 belegen, dass der Staatsdiener die Rocker mit wichtigen Informationen fütterte. Ein Spitzel im Apparat, doch wie kam es zu dem Verrat?
Oberkommissar B. tritt mit seiner Band einmal bei den Rockern im Vereinsheim auf. Danach telefoniert er regelmäßig mit dem Bandido Peter E., Spitzname »Peitsche«. Das ist sicherlich fragwürdig, aber noch nicht verboten. Doch es bleibt nicht bei Floskeln am Telefon. Weil »Peitsches« Handy abgehört wird, ist der rege Gedankenaustausch zwischen Gesetzeshüter und Gesetzesignorant gut dokumentiert.
Im Januar 2008 ruft der Rocker seinen Behördenkontakt auf dem privaten Handy an. Die beiden duzen sich und reden über eine möglicherweise gefälschte Harley-Davidson-Lederjacke, die der Polizist im Internet ersteigert hat. Er fährt anscheinend auch Motorrad. Plötzlich diktiert der Bandido den Anfang eines Kennzeichens: »MK …« Doch der Oberkommissar unterbricht den Bandido und sagt etwas nebulös: »Wir wollen mal gucken.« Offensichtlich ist er gerade nicht alleine oder nicht im Dienst, jedenfalls kommt der Freund und Helfer nicht sofort an die gewünschten Daten heran. Peter »Peitsche« E. fragt ihn, wann er denn dann behilflich sein könne. Der Polizist: »Erst am Montag.«
Das Überprüfen von Kennzeichen hat im Kampf zwischen Bandidos und Hells Angels eine enorme Bedeutung. Die Rocker fühlen sich in dem Dauerkonflikt ständig bedroht und werden schon misstrauisch, wenn Autos und Motorräder mit unbekannten Kennzeichen zweimal am Vereinsheim vorbeifahren.
Auch der später erschossene Hells Angel Robert K. aus dem westfälischen Ibbenbüren lässt wiederholt verdächtige Fahrzeuge abfragen – bei Jürgen K., einem Beamten der örtlichen Autobahnpolizei. Der sieht für den Rocker immer wieder in der behördlichen Datenbank Zevis nach, wie die Öffentlichkeit hinterher im Prozess gegen die beiden Mörder des Höllenengels erfährt. Eigentlich ist das illegal.
Im Ruhrgebiet wiederum borgt sich Bandido »Peitsche«, der als Aufpasser in einem Puff in Castrop-Rauxel arbeitet, sogar irgendwann die schusssichere Weste seines Freundes bei der Polizei. In dem Bordell nämlich steht eine »Polenparty« an, und der Rocker befürchtet Stress. Eine Stunde später, offensichtlich nach der Übergabe des Körperschutzes, lobt der Bandido am Telefon die staatliche Ausrüstung: Die Weste sei schön warm.
Beamter und Rocker bilden eine Symbiose wie Hai und Putzerfisch, beide Seiten profitieren offenbar von der Beziehung. Am 17. Februar 2008 teilt der Kuttenträger dem musikalischen Beamten mit, dass er mit seiner Band auf dem »Rock Hard«-Festival in Gelsenkirchen spielen könne. Peter E. wolle mit seinen Kontakten dafür sorgen. Der Polizist überschlägt sich fast vor Begeisterung, an solche Auftritte kommt man nur mit Vitamin B – B wie Bandidos.
Möglicherweise ist der verlockende Auftritt der Lohn für einen ganz besonderen Einsatz als inoffizieller Mitarbeiter der Gang. Fünf Tage zuvor hat der Oberkommissar wohl unaufgefordert Dienstgeheimnisse an Peter »Peitsche« E. weitergegeben. Vielleicht sorgt er so dafür, dass die Harley-Truppe vor schlimmen Konsequenzen, in diesem Fall vor Haftstrafen wegen Drogenhandels und Hehlerei, verschont bleibt.
Es beginnt im Oktober 2007, als die Kriminalpolizei Herten den Einbrecher Martin F. schnappt. Der Mann hat mit seinem Komplizen Tim M. zusammen das Warenangebot von Geschäften und Baumärkten im gesamten Ruhrgebiet vorübergehend verkleinert. Die Männer klauten Laptops, Winkelschleifer, Handkreissägen, Taschenlampen, Rasenmäher, Gegensprechanlagen, Schalke-Trikots, Tiefkühlpizzen, Digitalkameras, Wandfarbe, Schuhe, Parfüm und vieles mehr.
Allerdings beging der Kleinkriminelle Martin F. den Kardinalfehler aller Einbrecher, Drogenbosse und Autoschieber. Erst prahlte er mit seinen krummen Touren vor seiner Freundin und verscherzte es sich dann wenig später mit ihr: Frauen können rachsüchtig sein.
Die häufig koksende Dame marschierte, diesmal high vom Adrenalin, zum Kriminalkommissariat und verbesserte schlagartig die Aufklärungsquote im nördlichen Ruhrgebiet.
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