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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
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mußte.
    Al Penny war der Verfechter der Einsamer-Wolf-Theorie.
    Nach dieser Theorie war Lucy einfach am Strand spazierengegangen und von einem völlig Fremden angefallen worden, einem Gelegenheitsverbrecher, der die Situation ausnützte. »Jemand, der stark genug war, sie zum Schweigen zu bringen«, so schloß er.
    Wir konnten das nicht ausschließen, aber die meisten von uns glaubten, daß der Mörder jemand aus der Gegend war. Wir stellten ihn uns als Erwachsenen oder älteren Jugendlichen vor, der Lucy regelmäßig in ihrem Laden gesehen hatte. Jemand, bei dem ihre Attraktivität dunkle Phantasien freisetzte. Ihr Mörder war folglich jemand, den sie mit Namen kannte.
    Wenn wir ganz aufrichtig sind, dann stammte die Gewißheit, daß Lucy ihren Mörder kannte, aus einem tiefen Blick in unser eigenes Inneres. Wir erkannten die dunkle Seite dessen, was es ausmacht, ein Mann zu sein. Mit fünfzehn platzten wir fast vor unbefriedigter sexueller Lust. Jetzt lachen wir darüber, und nach einem oder drei Bieren gestehen wir grinsend ein, daß wir uns damals bis zu zwei- oder dreimal pro Tag »erleichtert« hatten. Soviel Energie hätten wir heute gern. Und Gewalt war uns auch nicht gänzlich fremd, hauptsächlich vom Rugby her, aber fast jeder von uns hatte sich auch außerhalb der sportlichen Regeln geprügelt. Roy Moynahan hatte mal einem Jungen einen Baseballschläger über den Schädel gezogen, weil er glaubte, der mache sich an seine jüngere Schwester Emma ran. Er konnte von Glück reden, daß er den Jungen nicht umgebracht hatte.
    Es lag also nicht außerhalb unserer Vorstellungen, das Bild eines Mannes heraufzubeschwören, der ähnliche Gefühle hatte wie wir selbst und jeden Vorwand suchte, um Lucy in ihrem Laden zu sehen. Vielleicht ist er ihr ein paarmal nach der Schule bis nach Hause gefolgt. Daran war nichts Anstößiges. Es war ebenfalls nicht ganz ausgeschlossen, uns auszumalen, wie diese Gefühle den Mann schließlich überwältigten und zu entsetzlichen Taten trieben. Nein, wir konnten es uns für uns selbst nicht vorstellen, eine Frau zu vergewaltigen oder zu ermorden. Diese Tat war zutiefst abstoßend. Aber sagen wir es mal so, der Wahrheit zuliebe: Mit fünfzehn standen wir möglicherweise am Anfang des Weges, den Lucys Mörder bis zum Ende gegangen sein muß. Wir lungerten am Anfang dieses dunklen Pfads herum und konnten nur bis zur ersten Kurve unter den Bäumen sehen. Aber wir trugen eine Ahnung in uns, was es bedeuten mochte, den Pfad weiterzugehen, zumindest ein Stück weit.
    Wir sahen den Männern und älteren Jungen, die uns auf der Straße oder am Strand begegneten, ins Gesicht. Für uns war keiner von ihnen unschuldig. War’s der? fragten wir uns. Oder der? Der vielleicht? Jener? Aber weil wir keine plausible Alternative hatten, blieb Mr. Asher unser Hauptverdächtiger. Jase Harbidge hatte sich kundig gemacht und konnte jetzt die Namen von Vätern (und sogar ein paar Müttern) runterleiern, die ihre Kinder auf jede erdenkliche grausame Art umgebracht hatten. Zugegebenermaßen stammten die Fälle – wie unsere liebsten Fernsehserien – fast ausschließlich aus den USA, aber das hieß nicht, daß es nicht auch in unseren Breiten geschehen war. Wenn wir abends mit der Familie um den Eßtisch saßen, studierten wir die Gesichter unserer Väter und Mütter vor einem neuen und zutiefst verstörenden Hintergrund.
    Mr. Asher war die einzige uns bekannte Person, deren Verhalten wir das Etikett »verdächtig« anheften konnten. Wir debattierten endlos darüber, was es wohl gewesen sein mochte, was er da, von Matt beobachtet, spätnachts in den Kanal geworfen hatte. Vielleicht ein Objekt oder ein Kleidungsstück, das ihn als Lucys Mörder belasten konnte? In diese Richtung bewegten sich unsere Gedanken. Mr. Ashers Schweigsamkeit kam uns nun als eine Form der Tarnung vor, um sich unbemerkt und unverdächtig fortbewegen zu können.
    Als diese Theorie auf kam, argumentierte Al Penny dagegen: »Aber was ist mit dem Sex? Lucy wurde doch vergewaltigt, oder? Das machen Väter nicht mit ihren Töchtern.«
    Das war an einem der heißen Nachmittage. Wir trafen uns in der Garage der Turners mit ihrer Trainingsbank und dem schiefen Billardtisch. Jase Harbidge studierte gerade seinen nächsten Stoß. Er hielt inne und schaute über den grünen Filz zu Al. Er hob die Brauen, als könnte er nicht glauben, was er da hörte, und sagte nur ein Wort: »Wetten?« Dann machte er seinen Stoß. Die Gewichte klirrten, und

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